Vater sein dagegen sehr
Landstraßenkapitän, dessen hartes Herz bei ihrem Anblick schmelzen würde. In ihren kleinen Rucksäcken schleppten die Kinder ihr Zahnputzzeug, ein paar Wäschestücke zum Wechseln und einen kleinen Mundvorrat mit, während Lutz in seinen alten Militärrucksack alles hineingestopft hatte, was sie sonst für das Ferienabenteuer benötigten. Sandalen, warmes Unterzeug, ein paar Pullover, Regenmäntel und sogar eine Wolldecke hatte er zwischen die Riemen geschnallt. Ein Frankfurter Möbelspediteur nahm sie bis nach München mit, und in München erwischten sie einen Leerzug, der Zement von Brannenburg holen sollte. Vierhundert Mark hatte Lutz eingesteckt. Davon trug er das Geld für die Rückreise ab München gesondert und als eiserne Reserve im Brustbeutel.
»Mit dem übrigen können wir machen, was wir wollen«, sagte Lutz, als das große Abenteuer begann. »Die Reise ist zu Ende, wenn das Geld zu Ende ist. Wir können natürlich wie Fürsten leben und jeden Tag Kuchen mit Schlagrahm und Eis essen. Na schön, dann schwimmen wir eben nach acht Tagen wieder in der Mainbrühe.« —
»Wie steht es mit der Kassa?« fragten die Kinder, wenn sie am Abend auf einem Bauernhof ins Heu schlüpften oder sich auf die harten Lager der Jugendherbergen streckten.
»Zweihundertsieben und ein paar Groschen darüber«, berichtete Lutz im Ton eines beamteten Kassenwarts.
»O mei', da langt's noch weithin!« murmelten die Kinder beruhigt und drehten sich auf die Seite.
Die kleine Horde mit dem schwarzen, halbnackten Spitz vorauf oder hinterdrein durchwanderte den ganzen Chiemgau und Rupertiwinkel. Sie tauchten in Gstad und Reit im Winkel, in Ruhpolding und Berchtesgaden auf. Sie badeten im Chiemsee und im Lödensee, in der eisigen roten Traun und in dem kristallklaren Wasser des Hintersees. Sie fuhren nach Bartholomä und stiegen über die Saugasse zur Kärlinger Hütte auf, wo unter dem Hundstod die Murmeltiere pfeifend in ihre Gänge fuhren. Sie stampften über die Geröllhalden des Watzmanns und sammelten auf den grünen Gründen der Winkelmoosalm im Handumdrehen das Kochgeschirr voller Erdbeeren oder Heidelbeeren, zu denen ihnen am Abend die Sennerin den gelben Rahm von der Milch schöpfte. Sie schliefen in Jugendherbergen, auf Bauernhöfen, in den Hütten des Alpenvereins und bei den Sennern im Heu. Holzfäller auf dem Schaichen luden sie zu ihrem fetten Schmarrn ein. Sie lebten von Eiern und Milch, Speck und Brot, und wenn es ein besonderer Tag war, dann kehrten sie in eine Wirtschaft ein und ließen sich Schnitzel oder ein Zwiebelfleisch in der Pfanne braten, und Lutz trank seine frische Maß dazu und die Kinder die gute rote oder grüne Limonade. Der Wettlauf zwischen Zeit und Geld wurde immer spannender.
»Wie steht's mit der Kassa, Onkel Lutz?«
»Noch elf Mark fünfunddreißig.«
»Au weh, jetzt wird's sakrisch eng!«
»Nicht einmal mit dem Diridari, sondern mit der Zeit! In vier Tagen sind die Ferien zu Ende.«
»Geh, mach keine Mäus'!« stießen die Kinder hervor und erblaßten unter der braunen Haut. Es war ihnen, als ob die Ferien erst gestern begonnen hätten.
Nein, Lutz machte keine »Mäus«, und zwei Tage vor Schulbeginn trafen sie wieder im Turm ein. Der Sommer hing noch immer wie eine bleierne Last über dem Main. Ein kleiner Berg von Post lag hinter der Tür. Im Fleckerlteppich waren die Motten, und im Kinderzimmer hatten fliegende Ameisen geschwärmt und Tausende von Toten zurückgelassen, zwei ganze Kehrichtschaufeln voll.
Lutz sortierte derweil die Briefe und fischte mit sicherer Hand die beiden Rosinen heraus. Ein rheinischer Verlag interessierte sich für eine Buchausgabe der großen Abenteurer, und eine Münchner Filmgesellschaft fragte ihn, ob er bereit sei, den Stoff seines Greelyberichtes zu einem Filmtreatment gegen ein entsprechendes Honorar zu verarbeiten und eventuell, falls er keine Drehbucherfahrung habe, das spätere Drehbuch mit einem bekannten Filmautor gemeinsam zu verfassen. Die finanziellen Angebote waren, wenigstens im Verhältnis zu seinen bisherigen Einnahmen, so märchenhaft, daß Lutz wie betäubt vor seinem Schreibtisch stand, von dessen brauner Platte silbergraue Staubwolken emporwirbelten.
Weiß der Himmel, was sich die Kinder dachten, als sie sahen, wie er die Briefe in der Hand schwenkte, als winke er etwas unwiederbringlich Verlorenem nach. Noch nie hatten sie ihn so bewegt gesehen, und dabei sah er alles andere als etwa glücklich aus. War es vielleicht ein Brief aus
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