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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Coburg? Irgendeine schreckliche Nachricht, die sie selber betraf? Sie drückten sich mißtrauisch und furchtsam in sein Zimmer hinein.
    »Ach, Kinder«, sagte er brüchig und preßte die kleinen Gesichter in die rauhe Wolle seines Homespun, denn im Turm war es kühl, »ich glaube, jetzt haben wir ausgesorgt — wenigstens für eine Weile — frei — kein Druck mehr auf der Brust — keine Furcht mehr vor morgen und übermorgen!«
    Gewiß verstanden sie ihn nicht ganz, aber sie spürten, daß etwas Großes geschehen war, daß das Glück in seinem blinden Taumelflug ihren Turm besucht hatte.
    »Du, Onkel Lutz, waas meinst«, schluckte der Rudi, »beim Bäcker Zerrgiebl hänt's rotweiße Fahnderl heraus, daß es ein Eis gibt, ha, wär das woas?«
    Lutz holte eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche und ließ es dem Rudi in den Halsausschnitt klingeln. Es klimperte unten aus den Hosen heraus, und die Kinder klaubten die Münzen vom Boden auf, eine Mark und siebzig Pfennig. Es war eine Summe, die ihnen den Atem verschlug.
    »Weißt, Traudl, i moan, da nehmen wir für ein Fuchzgerl Zitronenwaffeln und schlecken das Eis mit die Waffeln auf.«
    »Das heißt nicht mit die Waffeln, sondern mit denen Waffein! Gell, Onkel Lutz? — Aber wart nur, ich werd dem Rudi schon noch Hochdeutsch lehren!«

Z W Ö L F T E S K A P I T E L

    Die böse Geschichte mit dem Rudi passierte am zweiten Schultag nach den großen Ferien. Lutz empfing die Nachricht mit einem Gesicht, als hätte er so etwas Ähnliches fast erwartet. Das Glück hatte ihn zu sehr verwöhnt. Jetzt präsentierte es ihm die Rechnung.
    Er stand am Tisch und putzte Gemüse, Karotten, Sellerie, Blumenkohl, Erbsen, Kohlrabi und Bohnen, ein Küchenhandtuch hing ihm als Schürze im Hosenbund. Zum Mittagessen sollte es eine Gemüsesuppe mit einem Stück Rindfleisch geben. Im Zimmer sah es ziemlich wüst aus. Wenn Lutz kochte, mußten alle Töpfe daran glauben. Kurz nach zehn läutete es unten. Er ging, mit dem Handtuch vor dem Bauch, hinunter, um zu öffnen. Das Messer, mit dem er die Bohnen zerschnippelt hatte, trug er in der Hand. Der Spitz Bello kläffte, er kläffte immer wie verrückt, wenn jemand läutete. Es war ihm nicht abzugewohnen.
    »Halt's Maul, Bello!« schrie er und drehte den Schlüssel herum.
    »Sie — Fräulein Leinegger?« Es war ihm scheußlich peinlich, sich ihr in seinem Aufzug zu zeigen, mit dem lächerlichen und ziemlich dreckigen Handtuch vor dem Bauch und dem Messer in der Hand. »Oh — Sie müssen entschuldigen, aber so sieht man eben aus, wenn man Junggeselle, Vater, Mutter und Köchin in einer Person ist.«
    »Bitte, bitte, bitte!« sagte sie und winkte ab.
    Erst in diesem Augenblick überkam ihn eine Ahnung, daß sie ihm keine gute Nachricht brachte.
    »Es ist etwas Unangenehmes passiert, wie? Mit den Kindern, nicht wahr?«
    Fräulein Leinegger befeuchtete sich die Lippen.
    »Ja — mit dem Rudi — er hat sich anscheinend das rechte Bein gebrochen. Aber vielleicht ist es auch nicht so schlimm«, fügte sie hastig hinzu. »Auf jeden Fall haben wir ihn sofort ins Krankenhaus transportieren lassen, damit dort zunächst einmal eine Röntgenaufnahme gemacht wird. Der Bluterguß sieht ziemlich böse aus und geht fast bis zum Knie hinauf, aber der Arzt meint, das besage nicht viel.«
    »Wie ist denn das passiert?« fragte er erregt.
    »Die Buben haben in der Pause gerauft, dabei muß es geschehen sein. Es ging blitzschnell.«
    »Hören Sie mal«, unterbrach er sie ärgerlich, »da ist doch gewiß immer ein Lehrer da, der die Aufsicht führt! Jedenfalls war das zu meiner Schulzeit so üblich!«
    »Die Aufsicht hatte ich«, sagte sie sehr leise und sehr verlegen, »es ist mir furchtbar unangenehm, daß so etwas geschehen konnte. Aber man kann nicht überall zu gleicher Zeit sein.«
    »Oh, entschuldigen Sie!« bat er verwirrt. »Natürlich, ich verstehe vollkommen, daß so etwas passieren kann. Sie können Ihre Augen selbstverständlich nicht überall haben.« Er riß die Schürze aus der Hose und stopfte das Hemd, das er bei dem allzu heftigen Ruck mit herausgezogen hatte, hastig unter den Bund zurück. Das Messer hielt er dabei in der Hand.
    »Geben Sie acht!« rief sie ängstlich. »Sie werden sich noch den Bauch auf schlitzen!«
    »Ach so — das Messer —, entschuldigen Sie, ich bin völlig durcheinander! Und überhaupt — ich lasse Sie hier vor der Tür stehen — bitte, wollen Sie nicht ein treten?«
    Er zappelte vor Nervosität und Verlegenheit.

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