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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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fragte er mit einer kleinen Heiserkeit in der Stimme, »wenn die Wände nicht aus Glas wären, würden Sie sich im Turm häufiger sehen lassen?«
    Sie zögerte sekundenlang.
    »Vielleicht«, antwortete sie sehr leise.
    Lutz schloß die Augen und ließ sich führen. Durch den Stoff des Mantels und Anzuges hindurch spürte er die rhythmische Schwingung ihrer Schultern und das Spiel ihrer Muskeln. Sein Blut rauschte laut am Gehörgang vorbei und machte ihn taub für die Geräusche der Nacht.
    »Ich habe täglich und stündlich auf Sie gewartet!« sagte er mit einer verzweifelten Wildheit. »Und ich möchte Sie küssen! Ich möchte Ihre Augen küssen, und die Schatten in Ihren Wangen, und Ihren Mund, und die Locke, die sich immer wieder aus dem Hut schiebt...«
    Jetzt ist es heraus — und zu Ende — ach, du Idiot!
    »Und weshalb tun Sie es eigentlich nicht?« fragte sie mit dem kleinen Sprosserlaut in der Kehle, und das helle Oval ihres Gesichtes näherte sich ihm in der milchigen Dunkelheit.
    »Weil es hoffnungslos ist!« sagte er wild. »Weil ich nicht zum zweitenmal erleben möchte, was ich schon einmal erlebt habe! Weil der Turm schon für drei zu eng ist! Und weil ich an den Kindern nicht wie ein Schwein handeln möchte! — Verstehen Sie das? Können Sie das verstehen?«
    Er schmeckte eine gallige Bitternis im Munde, denn er wußte plötzlich, daß er zu jedem Verrat an den Kindern bereit sein würde, wenn sie es von ihm verlangte.
    »Nein, ich kann es nicht verstehen. — Ich verstehe nicht, weshalb du an den Kindern wie ein Schwein handelst, wenn du mich küßt. Nein, das verstehe ich wirklich nicht!«
    Er umspannte ihre Schultern und preßte sie an seinen Körper. Ihre Gesichter waren sich so nah, daß sie den schwachen Widerschein des Sternenlichtes in ihren Augen funkeln sahen.
    »Mein Gott, mach es mir doch nicht so schwer! Ich kann die Kinder nicht auf die Straße setzen!« Aber es waren nur Worte, nur Worte. Natürlich konnte er! Natürlich war er dazu bereit!
    »Ach, Lutz, ich weiß, weshalb Margot Sonnemann dich verlassen hat. Es ist kein Geheimnis. Die ganze Stadt weiß es. Und die ganze Stadt verurteilt sie. — Aber ich verstehe sie. Von null zu zwei ist immerhin ein Sprung über zwei Hindernisse. Aber von sechzig zu zwei — hm — das sind achtundfünfzig weniger! Findest du nicht, Lutz, daß ich mich dabei eigentlich verbessern würde?«
    Er starrte sie an und sah das Lächeln in ihrem Gesicht und hörte wieder den Taubenlaut aus ihrer Kehle, der ihn so bezauberte. Ihre Haut schimmerte so hell, als würde sie von innen erleuchtet. — Ich habe nicht davon zu träumen gewagt, dachte er, als er sie in seine Arme zog und ihre Lippen auf seinem Munde spürte. Sie schmiegte sich in seine Wärme. Die Haut ihrer Wangen war so frisch und so kühl wie die Samthaut eines Pfirsichs. Sie küßten sich atemlos. Aus der Viertelstunde, die Hilde noch vor kurzer Zeit vor ihrem Gewissen verantworten zu können geglaubt hatte, wurden zwei. Sie gingen eng aneinandergepreßt durch die Nacht, in der Verschmolzenheit, in der alle Liebespaare der Welt durch die Dunkelheit gehen. Seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, und er spürte die Wärme ihres Blutes und das Spiel ihrer Muskeln unter der straffen Haut.
    »Ich muß dir übrigens ein Geständnis machen«, sagte er nach langer Zeit ein wenig verlegen, »Ventura klingt gut, nicht wahr? Aber es ist nicht mein richtiger Name — es ist nur ein Pseudonym.«
    »Ich weiß es, Lutz.«
    »So, du weißt es?« murmelte er beruhigt. »Das erspart mir viel Kummer. Aber du wirst nur auf den Namen Müller getraut werden. Später bleibt es bei Ventura.«
    »Das ist gut, denn Müller ist ziemlich schlimm.«
    »Für mich völlig unmöglich. — Aber sag einmal, woher weißt du es eigentlich?«
    »Wieder einmal aus den Schulakten.«
    »Du scheinst deine Pflichten ja mächtig ernst zu nehmen.«
    »Nicht zu sehr, aber in diesem besonderen Falle...«
    »In diesem besonderen Falle?« fragte er.
    Hilde preßte sich enger an ihn und hob ihm die Lippen entgegen: »Küß mich, damit ich es dir sagen kann.«
    Er ließ sich nicht zweimal bitten, und es war nicht die Neugier allein, die ihn bewog, ihren Wunsch so rasch und so heftig zu erfüllen.
    »Als ich dich zum erstenmal sah — damals, im Amtszimmer von Rektor Gutbrod, wie du da mit den beiden Kindern standst und wie der alte Gutbrod dich mir vorstellte und mir die Geschichte der Kinder erzählte — damals wußte ich plötzlich, daß du mich

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