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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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hätte der Samt eine hellere Färbung angenommen. Lutz warf die Zigarette fort, sie flog wie ein kleiner roter Leuchtkäfer durch die Dunkelheit und versprühte auf den Pflastersteinen.
    »Oh, so streng war es nicht gemeint.«
    »Ich rauche ohnehin zuviel. Ich müßte jemand haben, der auf mich ein wenig aufpaßt.«
    »Mir langen meine sechzig Kinder!«
    Sie näherten sich einer Laterne, Fräulein Leinegger ging mit leicht geneigtem Gesicht neben ihm. Die Schatten unter den Jochbögen in den sanften Höhlungen ihrer Wangen vertieften sich; es war ein Schattenspiel, das Lutz faszinierte. Das Gesicht schien zärtlich und geheimnisvoll verlockend zu lächeln. — Die Nacht war mondlos, aber der Herbsthimmel wölbte sich mit seinen glitzernden Sternbildern strahlend und tiefblau über dem Flußtal. Die kleine Stadt lag wie ausgestorben unter den dunklen Hügeln. Selbst in den Wirtschaften rührte sich nichts. Nur in der Ferne heulten ein paar Hunde.
    »Also gut«, sagte Fräulein Leinegger, als beantworte sie eine soeben an sie gerichtete Frage, »eine Viertelstunde kann ich vor meinem Gewissen verantworten, aber wenn ich durchs Examen falle, tragen Sie die Schuld!«
    Sie bog von der Hauptstraße ab und schlug einen Feldweg ein, der, von Gärtnereien und Holzlagern flankiert, einen weiten Bogen um die alte Stadtmauer machte. Es roch nach Harz und bittersüßlichem Moderruch von Herbstblumen. Lutz tappte ein wenig blind neben ihr her. Der ungepflasterte Weg war von schweren Holzfuhrwerken ausgefahren und hatte in der Mitte tief eingeschnittene, knochenhart eingetrocknete Furchen.
    »Ein Kavalier der alten Schule würde hier sagen, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, gnädiges Fräulein?«
    »Weshalb? Ich gehe hier neben dem Zaun recht gut.«
    Lutz blieb mit dem linken Fuß in der Fahrrinne hängen und stolperte leicht.
    »Hoppla!« rief Fräulein Leinegger und griff nach seinem Arm. Aber im letzten Augenblick bremste sie die Reflexbewegung ab.
    »Sie scheinen Katzenaugen zu haben.«
    »Soll das etwa ein Kompliment sein?«
    »Es gibt Katzen mit blauen Augen, persische Katzen.«
    »Und es gibt Kavaliere, die den Damen geistvolle Komplimente machen. Aber das scheint lange her zu sein.«
    Lutz trat aus der Stolperrinne nach rechts heraus und nahm mit einer Kühnheit, über die er selbst erschrak, ihren Arm. Sekundenlang wartete er mit Herzklopfen auf eine abwehrende Bewegung, aber weder geschah es, daß sie seine Hand abstreifte, noch daß sie einen kleinen Schritt zur Seite trat und ihn zwang, die Hand von ihrem Arm zu lösen. Er hatte die Empfindung, ihre Wärme rieselte wie ein prickelnder elektrischer Strom durch seinen Körper.
    »Ich habe in den letzten vierzehn Tagen täglich darauf gewartet und gehofft, Sie würden den Turm wieder einmal besuchen.«
    »Den Turm...« In ihrer Kehlt war ein kleines, kehliges Lachen. Es hieß: wie gewunden und neutral du dich ausdrückst!
    »Solange der Bub krank war, konnte ich es mir leisten, >den Turm< aufzusuchen, Herr Ventura. Aber was für einen Grund hätte ich jetzt? — Sie vergessen, daß in dem kleinen Nest die Pflastersteine Augen und Ohren haben und daß Ihr Turm, auch wenn sie es nicht glauben wollen, aus Glas besteht — von oben bis unten aus klarem Fensterglas!«
    »Was für eine peinliche Vorstellung!« rief er bestürzt.
    »Ich bin fest davon überzeugt, daß unser heutiger Mondscheinspaziergang schon zu dieser Stunde irgendwo eifrig besprachen wird und daß er mir bereits morgen von irgend jemand unter die Nase gerieben wird. Sie kennen Hallfeld nicht!«
    »Der Mond scheint gar nicht.«
    »Um so schlimmer!« — Aus ihrer Kehle kam wieder der dunkle, kleine Laut, der ihn schon einmal entzückt hatte; er klang wie ein Vogelruf, den der kleine Sänger im letzten Moment zurückhielt. — Der Weg öffnete sich ins Freie. Links hob sich die Silhouette der Stadt mit ihren stumpfen Wehrtürmen gegen den Horizont, und rechts stiegen frischumbrochene Felder bis zu den Hügelkämmen an. Die Pappeln, die den Weg säumten, hatten einen Teil ihres Laubs bereits verloren und raschelten in dem leichten Wind, der sich erhoben hatte und vergilbte Blätter von ihren Zweigen niederrieseln ließ. Lutz wagte es, den Arm des jungen Mädchens, den seine Hand in der Ellbogenbeuge zart umspannte, leicht gegen seinen Körper zu drücken, und er spürte mit beglückender Erregung, daß sie seinen Druck ganz leicht erwiderte. Ihre Schultern berührten sich jetzt beim Gehen.
    »Aber sonst...«,

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