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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Taschentuch an.
    »Weshalb sagte die Tante Ulrike, daß du ein Schlawiner bist«, platzte der Bub plötzlich heraus, »und weshalb hat die Mutti gesagt, daß du in da Schul immer nur Einser heimgebracht hast und überhaupt der Brävste und Fleißigste warst, ha?«
    »So — das hat sie gesagt?« murmelte Lutz betroffen.
    »Ja, daß du ein Schlawiner bist...«
    »Nein, nein, das meine ich nicht«, hüstelte Lutz, »sondern das andere, was deine Mutter über mich gesagt hat.«
    »Ja«, nickte der Bub verdrossen, »direkt grausig brav, daß du gewesen bist, und der Pappa auch.«
    Oha! Daher also die Antipathie und Zurückhaltung! — Lutz hätte es sich nicht träumen lassen, daß es irgendwo in der Welt Kinder gab, denen er als leuchtendes Beispiel vorgehalten worden war. Lieber Gott!
    »Na, also sooo brav war ich ja auch nicht gerade, wie du vielleicht denkst.«
    »I hab's eh net glaubt!« sagte der Rudi treuherzig.
    Lutz war versucht, zu erwidern, daß ihn diese Antwort erleichtere und daß er hoffe, der Aufnahme freundschaftlicher
    Beziehungen zwischen ihnen stände nunmehr eigentlich nichts mehr im Wege; aber es war schließlich ein Mutterwort, an dem sein Neffe Rudi da drehte und deutelte, und vielleicht war es aus pädagogischen Gründen ein Fehler, die Ausbruchsversuche dieses Bürschchens aus dem Käfig der mütterlichen Autorität zu unterstützen. Und so schwieg denn Lutz lieber.
    Sie näherten sich der Stadt. Die Straße fiel vor ihnen ziemlich steil ab, und je mehr sie sich der Talsohle näherten, um so höher stiegen im Süden die Berge in den Horizont, über dessen Bläue sich ein zarter Spitzenschleier von Föhnwolken zu breiten begann. Beim Silcher im Anfang der Ludwigstraße, wo es für das gleiche Geld »das Mehrere« gab, kauften sie den Milchnußbruch und die Sahnekaramellen ein. Es waren zwei gewaltige Tüten, mit denen sie den Laden verließen, und Lutz befürchtete insgeheim verheerende Folgen.
    Wahrscheinlich war es das Mitleid des netten Fräuleins hinter dem Ladentisch mit dem stadtbekannten Schicksal der Kinder, daß sie die Papiersäcke bis zum Rande füllt und dem Buben außerdem noch einen sogenannten Stundenlutscher schenkte, ein giftgrünes Riesenbonbon, das um einen runden Holzstecken gegossen war.
    »Gell, mir san jetz Vollwaisen«, sagte der Rudi, als sie auf die Straße traten. Er sprach das Wort mit einem gewissen Genuß und mit einer unverkennbaren Wichtigkeit aus. Wahrscheinlich hatte er nur eine sehr unvollkommene Vorstellung davon, was es bedeutete, aber so viel hatte er fraglos begriffen, daß man aus diesem Vollwaisentum etwas herausschlagen konnte; zum mindesten besser gefüllte Bonbontüten und Stundenlutscher als Zugaben.
    »Wer hat das gesagt, daß ihr Vollwaisen seid?«
    »Die Tante Ulrike.«
    »Eine nette Tante, wie?« forschte Lutz vorsichtig.
    »Pfüat di Gott, wenn die nett sein soll! Gleich das erste, wie sie bei der Tür nein is, daß sie g'sagt hat, der Bello muß weg. Aber da wird sie sich schwaar brenna!«
    »Was wird sie sich?«
    »Sie wird sich schwer brennen, mein ich.«
    »Jaja, ich verstehe«, murmelte Lutz, den diese bajuwarischen Laute aus dem Munde seines Neffen immer aufs neue verblüfften, »aber wer ist nun wieder der Bello?«
    »Na, der Bello halt, unser Spitzl.«
    Während sie den Maxplatz überquerten, erfuhr Lutz, daß die Abneigung zwischen der Tante Ulrike und dem Spitz Bello auf Gegenseitigkeit beruhe und daß der Bello, solange Tante Ulrike sich im Zimmer befinde, knurrend unter dem Bett liege und gelegentlich Attacken gegen ihre Beine unternehme. — Von allen Hunden konnte Lutz Spitze am wenigsten leiden; sie hatten etwas in Art und Stimme an sich, was ihn an hysterische Soubretten erinnerte, aber dieser Spitz Bello war ihm von vornherein sympathisch, und da er die Hundesprache ein wenig verstand, beschloß er, sich mit dem Bello gut zu stellen.
    An der Ladentür der Leihbibliothek hing ein Pappschild mit der Aufschrift »Wegen Trauerfall bis auf weiteres geschlossen«, aber die Tür war offen, und auf der Ladentheke lagen die Mäntel der Familie Roeckel. Der Hut mit dem wallenden Trauerschleier von Frau Ulrike Roeckel war über die Kasse gestülpt. Lutz empfand es wie ein Symbol. — Er legte ebenfalls ab, half dem Buben aus dem Mantel und fand, nachdem der Junge auch die schauerliche Schirmmütze abgenommen hatte, daß er mit seinem blonden Scheitel und der kecken Stupsnase eigentlich ganz nett und gar nicht so aussah, daß man sich für

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