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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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ihn schämen mußte. Er sperrte die Ladentür ab und trat in den Wohnraum, wo die Roeckels bereits am Tisch Platz genommen hatten, nachdem Frau Roeckel den Wasserkessel auf die Gasflamme gesetzt hatte. Es war ein ziemlich kleines Zimmer, das mit drei Betten (die Kinderbetten waren wie im Liegewagen übereinander gestellt), einem Schrank, einem Tisch und vier Stühlen überreichlich möbliert und nun, da sie sich zu fünft darin befanden, beängstigend eng war. Aber es hatte einen hübschen Ausblick über den alten Salinenplatz und die schiefergedeckte Salinenkirche auf die bewaldeten Hügel des Sparzer Instituts der Englischen Fräulein.
    Die elfjährige Traudl war dabei, den Tisch zu decken. Sie tat es rasch und geschickt und bewies, daß ihr diese kleinen hausfraulichen Verrichtungen geläufig waren und wohl schon früher zu ihren Pflichten gehört hatten, wenn Hertha im Laden von den Kunden aufgehalten wurde. Sie bedankte sich für die Süßigkeiten, mit denen ihr Bruder ungestüm ins Zimmer tanzte, bei ihrem Onkel mit einem schüchternen Knicks und mit einem ernsten Blick ihrer dunkel bewimperten braunen Augen. Sie war wirklich ersckreckend mager und zart. Wie Lutz später erfuhr, hatte sie im Winter einen Keuchhusten durchgemacht, den der Bub ohne Folgen überstanden hatte.
    »Eßt, Kinder, aber überfreßt euch nicht«, sagte Lutz und blinzelte seiner kleinen Nichte zu. »Hat euch eure Mutter eigentlich erzählt, wie ich als fünfjähriger Steppke von unserm reichen Onkel Gustav einmal zwanzig Mark geschenkt bekam und wie ich mir dafür einen halben Zentner Bruchschokolade kaufte?«
    »Naaa!« schrie der Rudi ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen auf, »gleich einen halben Zentner?!«
    »Ja, ich war nämlich auch für das, wovon es >das Mehrere< gab.«
    »Bitte, und jetzt trinken wir erst einmal den Tee!« ließ sich Frau Roeckel vernehmen. »Die Süßigkeiten laufen euch nicht weg — und ich glaube, wir alle haben etwas Warmes nötig.«
    Es lag an ihrer Stimme, es lag an ihrer Haltung und es lag an ihrer apodiktischen Art, daß sich in Lutz etwas wie ein Draht straffte. Sie hatte nichts gesagt, was in diesem Augenblick, in dem das siedende Wasser über die Teeblätter gegossen war, nicht auch jede andere Hausfrau an ihrer Stelle gesagt haben würde. Aber wie sie es gesagt hatte, klang es so: Ich verbitte mir jetzt Ihre lustigen Geschichten, denn wir befinden uns schließlich in einem Trauerhaus! Und ob diese Geschichten sich für Kinderohren eignen, ist höchst zweifelhaft! Und überhaupt ist es ein unverantwortlicher Leichtsinn, vor den Kindern solche Schokoladenberge auszuschütten!
    »Danke«, sagte Lutz, »mir ist warm genug, und ich bin außerdem kein Teetrinker. Aber lassen Sie sich nicht stören.«
    — Er überließ den andern die Stühle und nahm auf dem Bettrand Platz und spürte, daß eine weiche, feuchte Schnauze schnüffelnd an seine Waden stieß.
    »Ah, Bello«, lockte er und griff dem Hund mit kraulenden Fingern in die warme Brustwolle, »komm mal 'raus und stell dich vor, du schwarzer Höllenhund, du alter Kaminkehrer, du rußiges Ungeheuer!« Er sprach in knurrigen, ganz tiefen Kehltönen, eben in jener Hundesprache, der kein Hund widerstehen kann, und auch den Bello zog es unter dem Bett hervor.
    Er war ein kleiner Spitz mit kohlschwarzem, dichtem Behang, braunen Augen, einem buschigen Schweif und sehr zierlichen, ein wenig kurzen Pfoten, deren leichte Krümmung auf einen Dackel in der Ahnenreihe schließen ließ.
    »Du hast sehr schöne Augen«, knurrte Lutz liebenswürdig und stellte den Bello an den Vorderpfoten auf, »und du hast einen prachtvollen Anzug an, einen sehr teuren Kammgarnanzug, beste Maßarbeit — und du hast sehr elegante Schuhe, mit unverwüstlichen Rubbersohlen — und wunderschöne Wollstrümpfe.«
    Die Kinder kicherten. Der Bello schaute Lutz aufmerksam an und schien jedes Wort zu verstehen. Und Herr Roeckel schaute Lutz an, als ob er nach der Schraube suche, die in dessen Kopf locker geworden war. Auch Frau Roeckel sah Lutz an, als befürchte sie, er hätte nicht alle Tassen im Schrank.
    »Sie haben keinen Hund, wie?« fragte Lutz und kraulte Bello, der ein schönes Männchen machte, zärtlich am Bauch.
    »Nee«, antwortete Herr Roeckel, »meine Frau ist nicht dafür.« Er zerkrachte einen Zwieback zwischen seinen großen, gesunden Zähnen und schlürfte den heißen Tee mit Lauten des Wohlbehagens in sich hinein.
    »Wir haben Parkettböden!« sagte Frau Roeckel

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