Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
Nach Jahren war ihmjetzt wieder der erste Fall begegnet, wo er anfing, darüber nachzudenken, ob das Kind in einem Heim nicht vielleicht besser aufgehoben wäre als zu Hause. Der kleine Tobias eben. Scheidungsgeschichte. Die Frau trank, und der Mann wollte das Kind. Es gab gegenseitige Anschuldigungen, die der Frau waren massiver. Wohl war ihm bei beiden nicht. Aber vielleicht irrte er sich ja auch.
Jedenfalls hatte er zur Auffrischung seiner Kenntnisse diese Fortbildung beantragt. War ja auch ganz nett, mal rauszukommen. Gerechnet hatte er mit einer Genehmigung nicht: Seine Kollegin hatte denselben Antrag gestellt und arbeitete viel stärker in dem Bereich.
Von ganz oben kamen die Anträge dann zurück: seiner genehmigt, ihrer gestrichen. So hatte er eben auch mal Glück gehabt.
Wahrscheinlich war es nur Zufall.
Bis Göttingen holte der Zug die leichte Verspätung wieder auf. Hier wurde es laut. Eine Frau mit zwei bemerkenswert aufgerüschten kleinen Töchtern drängte ins Abteil, stopfte Mäntel und Tüten in die Gepäckablagen, machte sich breit.
Er schaute hin und wieder weg.
Dann griff er in die Reisetasche, öffnete die »Blätter der Wohlfahrtspflege« und überflog sie unkonzentriert. Heute hatte er sich eine Stunde früher Dienstschluss genehmigt, um schon am Nachmittag und nicht erst um fünf Uhr am nächsten Morgen zu fahren. Auch die zusätzliche Übernachtung war problemlos durchgegangen. Kunststück: Er würde in der Wohnung eines Freundes schlafen, den er lange nicht gesehen hatte. Eigentlich Grund zur Freude, aber irgendwie ließ sie sich nicht mehr so leicht aufwärmen wie noch vorhin.
Die Bilder waren wieder da.
Nach Kassel bezog sich der Himmel, das Abteil spiegelte sich im Fenster, er konnte die Mädchen beobachten. Sechs und neunJahre vielleicht. Die Ältere schaltete ihren Kassettenrecorder an, aus dem Elton John »Iʼm still standing« quäkte. Die Mutter lächelte: »Wenn es Sie stört, schalten wir natürlich aus.« Es war deutlich, dass ihre Tochter nichts weniger wollte als den Kassettenrecorder ausschalten.
Rolf Albrecht war sehr froh, dass er nur Söhne hatte. Aus vielen Gründen.
Er hatte es immer vermieden, über sein Interesse an kleinen Mädchen tiefer nachzudenken. Er hatte es im Ansatz erstickt, hatte dieser Neigung nie wirklich nachgegeben. Sie war auch nicht ständig präsent. Nur manchmal drängte sie sich in den Vordergrund.
Wie jetzt.
Als Babysitter, mit 14, 15, als er Kinder in der Nachbarschaft hütete, zog er die ganz Kleinen vor; mit denen kam er prima klar. Er badete sie sogar und ekelte sich nicht, wenn er sie mal windeln musste. Mütter lobten ihn. Er galt als verantwortungsbewusst, und es war ihm auch früh klar, dass er mal einen Beruf mit Kindern haben wollte. Er mochte Kinder wirklich.
Wirklich. Unabhängig auch von den drängenden Gefühlen, die er erlebte, wenn er sie nackt sah. Er tat ihnen nichts. Er betrachtete sie. Vielleicht etwas länger als nötig. Wenn sie gebadet auf dem weichen Handtuch lagen, klappten ihre Beinchen ohnehin auseinander. War er dann mit ihnen allein, zog er leicht die Schamlippen zur Seite und versuchte, in die Scheide zu schauen.
Mehr nicht.
Kaum mehr.
Fingen sie an zu schreien – wohl, weil ihnen kalt wurde –, trocknete er sie schnell ab und packte sie fürsorglich und warm ein. Er sprach nie darüber – mit wem auch? – und vermied es, daran zu denken. Es gab kein Problem.
Manchmal, nicht häufig, tauchten Bilder der nackten kleinen Geschlechtsteile in ihm auf.
Sexualität mit Frauen fand er später dann – zu seiner Erleichterung – relativ unproblematisch. Selten berauschend, aber normal. Die Frauen wiederum mochten seine Zärtlichkeit. In dieser Zeit waren die Bilder fast ganz aus seiner Vorstellung verschwunden. Seine dritte Freundin, Irmela, heiratete er.
Während ihrer Schwangerschaft stellten sich die Bilder wieder ein, und zum ersten Mal war er wirklich beunruhigt. Mit einer Mischung aus Sehnsucht und Angst erwartete er die Geburt eines Mädchens und war erleichtert, als sie einen Jungen bekamen.
Eigentlich wollte seine Frau kein zweites Kind, und so richtig konnte er auch nicht verstehen, warum er auf ihrer Wanderung durch den Peloponnes ihre Antibabypillen verschwinden ließ und jeden zweiten Tag mit ihr schlafen wollte. Auch sie war verwirrt. Das zweite Kind war dann ebenfalls ein Junge.
Im vorletzten Jahr hatte er sich sterilisieren lassen. Ein bisschen früh mit 32, fand der Arzt, aber da seine
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