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Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Titel: Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Fröhling
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Völlig abartig und so weit weg. Fremde Menschen. Sie reden von normalen Dingen aus früheren Zeiten. Wo ist die andere Welt? Meine Mutter jammert, weil ihr Sohn seine Kinder so streng erzieht. Ich sehe sie fassungslos an. Sie erzählt, dass sie unbedingt neben ihrem Mann beerdigt werden will. Mein Vater ist nun 30 Jahre tot. Ich verstehe nicht, wovon sie redet. Es ist eine Welt, die ich nicht kenne. Ach ja, und liebe Grüße von Onkel Paul. Ich sehe sie an und merke, sie weiß wirklich nicht, was sie tut, was sie sagt. Sie scheint in sich eine Welt zu haben, die es nie gegeben hat. Sie hat sich alles zurechtgelegt, so wie sie es will. Aber wo ist das andere? Meine Tante meint, sie säuft sich alles weg. Mag sein. Aber auch meine Tante sagt: ›Ist ja schon lange her.‹ Nein verdammt, ist es nicht. Es ist da, ich lebe noch immer darin. Kann nicht vergessen, will auch nicht vergessen und so tun, als wenn alles gut ist. Jemand erzählt von meinem Vater und was er in seiner Kindheit Tolles mit ihm erlebt hat. Innerlich haue ich mit dem Kopf gegen die Wand. Habe ich mir alles nur eingebildet? Nein, das habe ich nicht. Aber die Menschen wollen nicht wissen, wollen nicht hören. Habe tierische Kopfschmerzen und Rückenschmerzen. Kann mich kaum auf den Beinen halten. Der Boden beginnt zu schwanken. Aber der Körper lächelt und redet und ist freundlich. Onkel Paul fragt also immer noch nach mir. Soll ich mich darüber freuen?
    Zu Hause der Kampf um Anerkennung. Um Respekt, dass ich noch am Leben bin. Das Versorgungsamt meint, nun müsse alles mal gut sein. Ist es aber nicht. Die Menschen wollen nichts wissen, wollen vergessen, wollen alles hübsch haben.
    Hunderte von Studien bestätigen, dass wir gesünder, glücklicher, erfolgreicher sind, wenn wir die Realität positiv verfälschen. Das, was Angela Lenz in ihrem Brief kritisiert, hält uns also aufrecht. Wir wollen uns sicher fühlen.
    Aber was ist, wenn dieser Glaube durch psychische, sexuelle und seelische Gewalt zerstört wurde? Wo bleiben Sicherheit und Hoffnung, wenn Vertrauen schon früh zerstört wurde? Wird dann der Schrecken, den man gewohnt ist, zum einzigen – scheinbar – sicheren Ort? »Die Hölle erkennen wir erst rückblickend. Solange wir in ihr schmoren, reden wir von Heimat«, schreibt Robert Menasse in seinem Buch »Die Vertreibung aus der Hölle«. 117
    »Die mächtigste Waffe in der Hand des Unterdrückers«, sagt der südafrikanische Politiker Stephen Biko 118 , »ist der Geist des Unterdrückten.« Wie sich das anfühlt, schilderte mir Wolfgang Kneese, Flüchtling aus dem Folterlager Colonia Dignidad in Chile schon vor zwanzig Jahren: »Bei jeder kleinen Lebensentscheidung treffe nicht ich die Entscheidung, sondern in meinem Kopf steht Paul Schäfer auf und entscheidet. Und ich kriege ihn da nicht weg.«
    Seither hat sich vieles verändert. Durch Naturkatastrophen, technische Katastrophen und Attentate sind Traumata und die Folgen öffentliche Themen geworden. Die ICE-Katastrophe von Eschede 1998, die Terroranschläge am 11. September 2001 in New York, der Tsunami 2004 in Südostasien sind uns allen bewusst. Die traumatischen Folgen für die überlebenden Opfer ebenfalls.
    Aber es gibt Ausnahmen. Vielleicht erinnern sich einige noch an den niederländischen »Kinderpornoskandal« von 1998. 119 Als »Super-Gau« wurde der Fund von 9000 Fotos und CD-ROMsmit Aufnahmen von extremer sexueller Gewalt gegen Kinder und Babys im Badeort Zandvoort damals bezeichnet und machte wochenlang Schlagzeilen. Vergleichbar im Gedächtnis der Gesellschaft geblieben wie »Eschede« ist er nicht. Die Tragik für diese Opfer: Diese Gewalt findet im Geheimen statt, sie ist »schmutzig«, und sie ist tabu. Deshalb wird sie schnell wieder vergessen.
    Wiedergutmachung gibt es nicht, weder für die Opfer von Naturkatastrophen noch für gefolterte Kinder. Aber Anerkennung kann es geben. Einige Opfer von Folter und sexueller oder ritueller Gewalt haben sich Anerkennung erkämpft. Wolfgang Kneese ist ein kämpferischer Mann. Er hat sich den Kampf gegen seinen Folterer, den Sektengründer und Führer des Folterlagers Colonia Dignidad Paul Schäfer, zur Lebensaufgabe gemacht: »Ich will ihn vor Gericht sehen«, sagte er. Im Jahre 2006 hat er es geschafft.
    Geschafft hat es auch Anna Burger. 120 Sie erhielt 1998 in Australien politisches Asyl, weil sie Anfang der 80er Jahre vor einem destruktiven Kult aus Deutschland geflohen war. Aus einer Familie, die allem Anschein nach der

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