Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
ausgetauscht haben. Ist ihm gar nicht aufgefallen, weil alles so eilig war, aber jetzt, wo er genau hinguckt, stimmt, da ist ja ganz anderes Papier drum. Wie gemein! Ihm seine Bonbons klauen!
Conny weiß viele solcher Geschichten, die kann er aus dem Stegreif herunterhaspeln.
Er weiß auch, dass er nach der Landung auf Flughäfen manchmal lange warten muss, bis die Begleitperson erscheint, die ihnabholen soll. Wer das ist, weiß er nie im Voraus, das ist klug eingefädelt von den Erwachsenen, denn dann kann er auch niemanden verraten. Nicht dass er das jemals tun würde.
Er weiß genau, dass die erst mal schauen, ob Conny beobachtet wird. Irgendjemand vom Flugpersonal bringt ihn dann durch den Zoll, dorthin, wo die vielen Leute warten, und fragt: »Ist die Begleitperson für Angela Bahr hier?« Conny weiß, dass er auf diesen Namen hören muss. Manchmal wird das sogar über die Lautsprecher ausgerufen: »Es wird der Abholer von Angela Bahr zur Information in Ankunftshalle B gebeten.« Mit dem Namen »Angela Bahr« ist er gemeint, das weiß Conny genau. Warum, weiß er nicht so recht. Ist auch egal, aber er muss darauf hören.
Einige Male war der Onkel, der ihn abholen sollte, überhaupt nicht gekommen. Da wusste Conny, dass dicke Luft ist und er alleine zurechtkommen musste. Einmal riefen die Leute vom Flughafen seinen Vater an, und der sagte, ein Verwandter habe das Kind abholen wollen, hätte aber Schwierigkeiten mit seinem Wagen. Und das stimmte dann auch, war sogar nachprüfbar. All diese Geschichten stimmen. Conny findet das ganz toll, wie die Erwachsenen alles vorbereiten, bis ins Letzte, und die Polizei dabei austricksen. So clever will er auch mal werden.
Conny muss sich ganz doll auf seine Aufgabe konzentrieren, damit nichts schiefgeht. Schließlich ist das sein Auftrag. Nicht die Kontrolle verlieren. Alles unter Kontrolle halten. Keine der anderen Personen innen darf an ihm vorbei nach draußen flutschen. Sonst stehen die plötzlich auf dem Flughafen, wissen nicht, wo sie sind, und alles geht schief. Denn Conny weiß genau, dass es da noch andere Personen gibt, die ihm die Kontrolle abnehmen könnten. Am schlimmsten wäre es, wenn Stefanie auftaucht, Stefanie, die überhaupt keine Ahnung hat von den anderen. Die schaut sich dann im Flugzeug nach ihrem Papi um, ruft laut »Papi« und freut sich, wenn sie ihn findet. Dabei darf keiner wissen, dass sie zusammengehören. Und wenn sie das Päckchen findet, packt sie es womöglich aus, neugierig, wie sieist. Das darf auf keinen Fall geschehen. Wenn das passiert, wird Conny bestraft. Nicht die blöde Stefanie, die ihm dazwischengepfuscht hat, oder jemand anders, sie bestrafen nur Conny.
Und die Strafen sind hart.
Deshalb denkt Conny immerzu: »Ich muss hierbleiben, ich muss hierbleiben.« Wie eine Beschwörungsformel sagt er es sich innerlich vor.
Diesmal wäre es um ein Haar schiefgegangen. Sein Flugzeug hatte Verspätung. Als er wartete, dass sein Flug endlich aufgerufen wurde, musste Conny mal. Er sagte das seiner Begleitperson vom Flughafen. Die zeigte auf die Toiletten.
Conny marschiert los auf die Herrentoilette und stellt sich neben die anderen Männer an ein Becken. Er ist zehn Jahre, er ist schon ein großer Junge. Da sollen die anderen ruhig komisch gucken. Conny zieht den Reißverschluss auf.
Aber da ist nichts. Conny ist verwirrt.
Die Männer, die ein blondes, zwölfjähriges Mädchen mit offener Hose und verstörtem Blick neben sich an der Rinne stehen sehen, lachen.
Im Inneren ist Chaos.
Sarah hat die Katastrophe kommen sehen. Konnte aber überhaupt nichts verhindern: Weil Conny während seiner Aufträge immer so stark darum kämpft, die Kontrolle zu behalten, erreichen ihn Nachrichten aus dem Inneren nicht. Auf Umwegen aktiviert Sarah nun Jimmy. Jimmy, den großen Bruder seit frühester Kindheit. Jimmy weiß, dass er zwar ein Junge ist, aber er weiß auch, dass er keinen Penis hat. Er ist schon älter, er kann damit umgehen. Jimmy muss sich enorm anstrengen, aber es gelingt ihm, aufzutauchen, er grinst die Männer an, dreht sich souverän um und geht in eine Kabine.
Als sie dann wieder aus den Waschräumen kamen, hatte Jimmy sich verzogen, und Conny blieb zurück. Das war gerade noch mal gut gegangen.
Plötzlich schlenderten zwei Männer vom Zoll mit einem Schäferhund langsam auf Conny zu. Conny wusste, dass er diesmal ein Päckchen im Koffer hatte, in dessen Nähe kein Hund kommen durfte. Schon gar keiner vom Zoll. Warum wusste er
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