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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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anders im Haus gewesen. Marquette hatte niemals detailliert beschrieben, wie er die Morde verübte. Dr. Barakat nannte das
« Schuldablenkung»: Der Mörder wartete erst einmal ab, wie viel sein Gegenüber über die Tat wusste, bevor er die volle Verantwortung dafür übernahm. Ich habe es nicht getan. Niemand hat gesehen, wie ich es getan habe. Und wenn Sie gesehen haben, dass ich etwas gemacht habe, dann war es nicht meine Schuld. Aber vielleicht konnte Marquette die Morde ja gar nicht in allen Einzelheiten beschreiben. Weil er sie nicht begangen hatte. Julia nahm ihre Handtasche vom Bücherregal und stopfte die Mappe mit den Ausdrucken in ihre Aktentasche. Dann eilte sie zu Ricks Büro, um ihm zu zeigen, was sie herausgefunden hatte. Trotz allem, was in der vergangenen Woche geschehen war, galt schließlich auch für ihn
« im Zweifel für den Angeklagten». Vielleicht wusste er nichts von den Handley-Morden. Vielleicht waren die Morde erst in die Datenbank aufgenommen worden, nachdem Lat und Brill ihre Anfrage eingegeben hatten. Niemand im Bezirk DeLeon hatte eine Verbindung zu den Marquette-Morden hergestellt, da David Marquette zum Zeitpunkt der neuen Morde bereits im Gefängnis gesessen und ein Geständnis abgelegt hatte. Die Flure des Graham Building waren menschenleer. Freitags machten die meisten schon um fünf Feierabend, und um sieben waren nur noch die Reinigungskräfte und ein paar Wachmänner im Gebäude, die untätig in der Eingangshalle herumstanden. Selbst die Presseleute waren gleich nach der Vereidigung der Geschworenen in ihre Hotels verschwunden. Julia zog ihren Sicherheitsausweis durch den Schlitz neben der Tür mit der Aufschrift Major Crimes und ging an den ebenfalls verlassenen Kabinen der Sekretärinnen vorbei. Vor Ricks Büro zögerte sie kurz, weil sie feststellte, dass die Tür bereits einen Spaltbreit offen stand. Ein Streifen Licht fiel in den Flur. Aus dem Raum drang schweres, stoßweises Atmen – die gleichen intimen Geräusche, die ihr selbst nur wenige Tage zuvor in Ricks Armen entfahren waren. Durch den Spalt in der Tür konnte sie zwei ineinander verschlungene Körper erkennen. Julia schloss die Augen und wich zurück, als sei die Tür elektrisch geladen. Dann drehte sie sich um und lief davon.
KAPITEL 77

JULIA WAR noch nie in der Alibi Lounge gewesen. Als sie mit ihrem Honda auf den Parkplatz einbog, fragte sie sich, warum sie nicht direkt nach Hause zu Moose fuhr, den Rest Weißwein leerte, den sie noch im Kühlschrank hatte, und sich dabei die Seele aus dem Leib heulte. Lat saß an der Bar und unterhielt sich mit Brill und einigen Pflichtverteidigern.
« Hallo!», rief er und winkte sie zu sich.
« Am besten besorgen wir Ihnen erst mal was zum Sitzen.» Er wandte sich an Brill:
« Hol mal einen Stuhl.»
« Wie redest du denn mit mir?», entgegnete Brill beleidigt.
« Sei wenigstens einmal in deinem Leben nett. Die Lady braucht einen Stuhl.»
« Gib ihr doch deinen», grummelte Brill. Dann sah er Julia an und seufzte.
« Na gut, für Jules mache ich eine Ausnahme. Weil sie heute diesem Arschloch Paroli geboten hat.»
« Wo wir gerade vom Teufel sprechen: Wo ist Bellido?», fragte Lat, nachdem Brill davongestampft war.
« Er kommt nicht.»
« Warum?»
« Ich hatte keine Gelegenheit, ihn zu fragen.» Julia starrte angestrengt auf eine Flasche Hennessy im Regal hinter der Theke.
« Wie soll ich denn das verstehen?»
« Er ist beschäftigt. Oder war es zumindest. Wahrscheinlich ist er inzwischen fertig.»
« Was zum –», begann Lat, doch dann sah er, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
« Ach du Scheiße.» Julia ließ den Kopf hängen.
« Ich glaube, ich brauche einen Drink», sagte sie leise. Nach einer Weile sagte Lat:
« Es wäre nicht das erste Mal.»
« Nein?»
« Nein. Rick hat einen gewissen Ruf, was Frauen angeht. Der basiert allerdings zum größten Teil auf seinen eigenen Aussagen. Von den Damen habe ich noch nicht besonders viele beeindruckende Geschichten gehört.»
« Woher wussten Sie von unserer Beziehung?», fragte sie.
« Julia, ich bitte Sie! Jeder wusste über Sie beide Bescheid. Und jeder weiß, dass er ein Arschloch ist – falls Sie das in irgendeiner Weise tröstet.» Julia schwieg.
« Wer war es?», fragte Lat.
« Ich glaube, meine Abteilungsleiterin.» Lat schüttelte den Kopf.
« Ich komme mir vor wie eine Vollidiotin. Eine absolute Vollidiotin.» Julia sah sich hilflos in der Bar um.
« Und ich habe keine Ahnung, warum ich überhaupt hier bin

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