Vater unser
schließlich nicht Puff Daddy. Ich höre keinen Hiphop, sondern Lynyrd Skynyrd. Ich besitze auch keine schwarze Straußenlederhose. Miami Beach wird mir langsam ein bisschen zu abgefahren.»
« Er heißt jetzt übrigens nur noch Diddy. Es hat sich ausgepufft. Und das P. ist auch verschwunden.»
« Da sehen Sie’s, ich habe keine Ahnung», sagte Lat achselzuckend.
« Und wo wohnen Sie?»
« In Hollywood. In einem Gebäudekomplex an der Ecke Stirling und Fünfundneunzigste. Am liebsten würde ich direkt am Strand wohnen, aber als Staatsangestellte reicht das Budget dafür leider nicht aus.»
« Hm, vielleicht hätte ich Sie das fragen sollen, bevor ich Sie fünfzig Kilometer von Ihrem Auto weggefahren habe.» Julia lachte.
« Das macht nichts. Übrigens – danke. Für – all das hier.» Sie blickte sich um.
« Was für ein nettes Lokal.» Überall waren bunte Sonnenschirme aufgespannt, und in der Mitte der Tische stand neben Papierservietten und Speisekarten jeweils eine Bierflasche mit einer einzelnen Pfingstrose darin.
« Sogar echte Blumen», fügte sie hinzu und strich geistesabwesend über die Blütenblätter.
« Ich liebe Pfingstrosen. Die Rose des armen Mannes – so hat meine Mutter sie immer genannt.» Sie wechselte schnell das Thema, bevor die Erinnerungen zu schmerzhaft wurden.
« Die Fahrt hierher war ...»
« Furchterregend?» Sie lächelte.
« So könnte man es ausdrücken.»
« Manchmal dachte ich, Sie wollten mir die Rippen brechen.»
« Oje, bitte entschuldigen Sie», sagte sie und wurde rot.
« Eigentlich hatte ich nur am Anfang ein bisschen Angst. Sie sind ein guter Fahrer.»
« Zumindest haben Sie sich nicht den Hals gebrochen. Nicht auszudenken, wenn Ihre Mutter recht behalten hätte. Es tut mir übrigens sehr leid.» Sie sah ihn verständnislos an.
« Das mit Ihrer Mutter. Wann ist sie gestorben?» Julia spülte den Kloß in ihrem Hals mit einem großen Schluck Bier hinunter.
« Das ist lange her», sagte sie schnell.
« Mehr als vierzehn Jahre.» Seltsam. Rick hatte sie nie davon erzählt.
« Und woran ist sie gestorben?»
« Meine Eltern hatten einen Autounfall», erwiderte sie ganz automatisch.
« Sie waren beide sofort tot.»
« O Gott. Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht ...»
« Schon gut, Sie müssen sich nicht entschuldigen.» Julia zwang sich zu einem Lächeln.
« Haben Sie Geschwister?», erkundigte sich Lat.
« Nein», antwortete sie schnell und nippte an ihrem Bier. Plötzlich schoss ihr ein Satz aus der Bibel durch den Kopf: Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Julia wandte beschämt den Blick ab.
« Bei wem sind Sie aufgewachsen?»
« Bei meiner Tante und meinem Onkel.» Sie wechselte rasch das Thema.
« Kommen Sie aus Florida?»
« Nein, ich stamme aus Los Angeles. Ich bin nach Miami gezogen, weil das Filmbusiness nichts für mich ist. Aber meine Familie lebt noch dort – meine Mutter und meine beiden Brüder. Der eine ist schwer in Ordnung, der andere eher schwer zu bändigen.»
« Warum?»
« Stichwort Drogen und Gangs. Dieselbe Erziehung, drei verschiedene Resultate: ein Anwalt, ein Polizist, ein Krimineller. Aber wir haben immerhin alle das gleiche Berufsfeld gewählt. Und wenn wir zusammen sind, gibt es interessanten Gesprächsstoff.» Lat grinste, wurde dann jedoch wieder ernst.
« Was war das eigentlich zwischen Ihnen und Bellido?»
« Keine Ahnung.» Julia starrte hinaus auf das Wasser.
« Das ist ja gerade das Merkwürdige. Sechs Monate, und ich habe keine Ahnung.»
« Sechs Monate? Wow ...»
« Finden Sie das lang?»
« Ich persönlich nicht, aber für Bellidos Begriffe ...»
« Phasenweise haben wir uns oft gesehen, dann wieder seltener. Ich kann nicht behaupten, dass es eine richtige Beziehung war. Eigentlich dürfte mich die Sache von heute Abend nicht überraschen.» Sie rieb sich die Augen. Sie wollte diese Unterhaltung nicht führen. Es tat weh, vor allem, weil offenbar jeder außer ihr selbst es hatte kommen sehen.
« Ich bin so dumm gewesen! Wir haben uns immer nur getroffen, wenn er Lust und Zeit hatte. Meine Wünsche haben ihn überhaupt nicht interessiert. Und jetzt müssen wir gemeinsam diesen Fall zu Ende bringen und können uns nicht einmal aus dem Weg gehen.» Julia dachte an die Parallelen zwischen den Handley-Morden und ihrem Fall, die sie vor wenigen Stunden noch so aufregend und wichtig gefunden hatte. Jetzt schienen sie ihr überhaupt keine Bedeutung mehr zu haben. Sie hatte keine
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