Vater unser
Eisblöcke.
« Kalt?» Sie nickte erneut. Lat rieb ihre Finger, und Julia lief plötzlich ein Kribbeln über den ganzen Körper. Als die Ampel auf Grün sprang, schob er ihre Hände unter seine Jacke und drückte sie an seinen Bauch – ein Zeichen, dass sie sich wieder festhalten sollte. Julias Finger tauten langsam auf, und sie spürte, wie sich Lats Bauchmuskeln anspannten, wenn er sich in die Kurven legte. Sie empfand die Situation als merkwürdig intim, und auf einmal war es ihr peinlich, ihm derart nahe zu sein. Sie fragte sich, ob es ihm ähnlich ging, und war froh, dass sie ihm nicht in die Augen schauen musste. Sie näherten sich der Innenstadt, wo Fastfood-Restaurants, Drogerien, Kinos und Nagelstudios sich aneinanderreihten, und der Verkehr wurde lebhafter. Lat bog in eine Seitenstraße ein, die anfangs nur von Doppelhaushälften und Apartmenthäusern gesäumt wurde. Doch nach ein paar hundert Metern entdeckte Julia einen Tauchladen und einen Segelausstatter neben einem unscheinbar wirkenden Restaurant namens Southport Raw Bar. Handgemalte Meeresgeschöpfe tummelten sich auf der marineblauen Außenverkleidung. Über der Eingangstür entdeckte Julia ein Schild, auf dem stand: Wer Fisch isst, lebt länger. Wer Austern isst, liebt länger, Lat lenkte das Motorrad auf den erstaunlich vollen Parkplatz vor dem Restaurant und stellte den Motor aus. Julia nahm den Helm ab und genoss die plötzliche Stille.
« Hier bekommen Sie Ihren Drink», sagte Lat, stieg vom Motorrad und half ihr hinunter. Dann beobachtete er grinsend, wie sie ein wenig wackelig auf die Tür des Restaurants zusteuerte.
« Alles in Ordnung, Frau Staatsanwältin?»
« Ich bin nur ein bisschen steif», erwiderte Julia und schnitt eine Grimasse.
« Danke, dass Sie mich so behutsam mit dem Motorradfahren vertraut gemacht haben.»
« Ich bin nie schneller gefahren als hundertvierzig», entgegnete er lachend und hielt ihr die Tür auf. Kaum hatten sie das Restaurant betreten, kam ein großer Mann mit Hornbrille, Schürze und zerzausten braunen Locken auf sie zugeeilt und schlug Lat auf die Schulter.
« John-John! Was zum Teufel machst du denn hier?»
« Hallo, Buddy!», sagte Lat und erwiderte die herzliche Begrüßung.
« Ich bin zufällig in der Gegend und bringe dir neue Kundschaft. Julia, das ist Buddy. Buddy ist der Besitzer dieses Gourmettempels und macht die beste Muschelsuppe der ganzen Stadt. Julia ist Staatsanwältin in einem Fall, an dem ich gerade arbeite.»
« Sie kamen mir gleich so bekannt vor.» Das war alles, was Buddy dazu sagte. Julia war erleichtert, denn in letzter Zeit wurde sie mittlerweile häufig von Menschen angesprochen, die mit ihr über den Fall, die Todesstrafe und Marquettes Schuld oder Unschuld diskutieren wollten. Buddy erklärte lächelnd:
« Wenn das so weitergeht, sorgt John-John noch ganz allein dafür, dass sich die Zahl meiner Gäste in diesem Jahr verdoppelt.»
« Das kannst du laut sagen», entgegnete Lat grinsend.
« Schau dich bloß mal um.» Er wies in den Raum. Die Tische und die Bar waren voll besetzt, und aus jeder Ecke plärrten Fernseher, in denen Basketball-und Hockeyspiele übertragen wurden.
« Hier muss man ja schon reservieren, um einen Tisch zu bekommen. Womit wir beim Thema sind: Hast du noch Platz für uns?»
« Für dich immer.» Buddy führte sie durch das Restaurant hinaus auf eine direkt am Wasser gelegene Terrasse. Boote dümpelten gegen den Kai, die Luft roch nach Fisch und Bier, und von irgendwoher schallte Reggaemusik. Zwei Minuten später saßen Lat und Julia an einem Plastiktisch und hatten jeder ein Bier vor sich stehen.
« Eine Harley, soso ... Ich hätte nie gedacht, dass Sie der Typ dafür sind», sagte Julia, nachdem sie sich für Muschelsuppe und Garneleneintopf entschieden hatte.
« Urteilen Sie niemals nach dem Äußeren. Nicht alle Typen, die Harley fahren, sind Rocker, Zuhälter oder Schläger.»
« Das will ich hoffen», erwiderte sie lächelnd. Dann trank sie einen Schluck Bier und schaute sich um.
« Wohnen Sie in der Nähe?»
« Nein. Ein guter Freund von mir hat hier ein Boot liegen, und manchmal fahren wir zusammen raus und fischen. Ich wohne in Miami Beach, aber manchmal wünsche ich mir, ich wäre hierhergezogen. Ich mag Fort Lauderdale, es ist so schön ruhig. Ich habe nur keine Lust, jeden Tag zu pendeln.»
« Miami Beach ist doch auch schön. Das findet zumindest MTV. Und Paris Hilton», sagte Julia mit einem schiefen Lächeln.
« Genau das meine ich. Ich heiße
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