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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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starrten die Geschworenen David Marquette nicht länger mit Neugier an, sondern mit purer Verachtung. Sie hatte ihre Sache gut gemacht.
« Gute Arbeit», flüsterte Rick, als sich Julia wieder neben ihn setzte. Er nickte ihr mit einem Lächeln zu, das sie schon eine ganze Weile nicht mehr an ihm gesehen hatte.
« Du hast sie alle um den Finger gewickelt.» Julia hatte ihm nicht von den Handley-Morden erzählt. Sie hatte ihn auch nicht über ihren Verdacht eines zweiten Mörders informiert, genauso wenig wie über die statistische Wahrscheinlichkeit einer Falschaussage. Die Zeit für derartige Erörterungen war lange vorbei. Die Bühne stand, die Scheinwerfer waren eingeschaltet, das Publikum hatte seine Plätze eingenommen, und der Vorhang war aufgegangen. Ricardo Alejandro Bellido – der nächste Generalstaatsanwalt des elften Gerichtsbezirks – hatte das Stück geschrieben, die Schauspieler ausgesucht und rührte nun Regie. Er würde keine Veränderungen in letzter Minute akzeptieren. Er nickte ihr anerkennend zu, weil sie sich an den Text gehalten hatte, aber zum ersten Mal war es ihr egal, ob er mit ihr zufrieden war oder nicht. Im Gegenteil – sein Beifall widerte sie an. Es gab auch keinen Grund, Rick mit dem zu konfrontieren, was sie am Freitagabend in seinem Büro gesehen und gehört hatte. Ihre Beziehung war vorüber, und sie trauerte ihr nicht nach. Selbst die Erinnerungen schmeckten nun schal. Richter Farley entließ die Anwesenden in die Mittagspause, und Julia packte ihre Aktentasche zusammen. Dieser Fall hatte den Beginn ihrer großen Karriere markieren sollen. Doch jetzt, da sie mit Wahrheit und Wahrnehmung, Schein und Wirklichkeit dieses Falles rang, taumelte sie gefährlich nahe am Abgrund entlang. Als Julia den Gerichtssaal durch den Richterausgang verließ, um der Presse zu entgehen, kam sie an Karyn und Charley Rifkin vorbei, die sich leise miteinander unterhielten. Wahrscheinlich warteten sie auf Rick, der gerade der Frau, die den Notruf entgegengenommen hatte, letzte Anweisungen gab, da sie gleich nach der Pause als erste Zeugin der Staatsanwaltschaft aussagen sollte. Wie üblich nickte Rifkin Julia bloß flüchtig zu und sah dann schnell weg. Er hielt immer noch nicht viel von ihr. Karyn hingegen schenkte ihr zum ersten Mal seit Monaten ein Lächeln. Ein breites, fröhliches, strahlendes Lächeln. Als wären sie die besten Freundinnen.
KAPITEL 81
    CASAMASSINA, Cirto, Grubb, Morales, Monteleone», ertönte die gleichgültige Stimme der Krankenschwester aus dem Lautsprecher. Andrew schaute von der Zeichnung auf, die er gerade anfertigte.
« Bitte melden Sie sich im Schwesternzimmer.» Draußen wurde es langsam dunkel, und die Skyline von Manhattan glühte im Licht der untergehenden Sonne. Zeit für die Medikamentenausgabe. Er legte Zeichenblock und Stifte zurück in den Schrank neben seinem Bett, unter einen Stapel mit neuen Polohemden, die Julia ihm bei ihrem letzten Besuch mitgebracht hatte. Da man in Kirby seine Schränke nicht abschließen durfte, hatten Dinge manchmal die Angewohnheit zu
« verschwinden», wenn man sie nicht gut genug versteckte. Sein Zeichenblock war für ihn wie eine Fotokamera, und er wollte nicht, dass seine Bilder – besonders dieses Bild – verschwanden wie so viele andere zuvor. Die Medikamente für seinen Flur wurden vor dem Schwesternzimmer ausgegeben, einem weißen Resopal-Bollwerk mit dicken, kugelsicheren Glasscheiben, das genau in der Mitte der Station lag, zwischen Fernsehzimmer, Essensbereich, dem offenen Schlafbereich und dem Gang, an dessen Ende sich die zumindest halbwegs privaten Zweibett-Zimmer befanden, von denen auch Andrew eins bewohnte. Von diesem strategisch geschickten Platz aus konnten die Schwestern und Sicherheitsleute jeden jederzeit beobachten. Andrew stellte sich wortlos zu den vier anderen vor der Ausgabe. Obwohl die Männer bereits ebenso lang hier waren wie er, hatte er mit keinem von ihnen Freundschaft geschlossen. Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen nun eine Geschichte über einen mehrfachen brutalen Mord erzählen. Eine Geschichte, die keinen Sinn zu ergeben scheint und dadurch umso tragischer wird. Eine Geschichte, die Sie verängstigen, schockieren, entsetzen, verfolgen wird. Eine Geschichte, die selbst den Abgebrühtesten unter Ihnen die Tränen in die Augen treiben wird ...» Andrew erstarrte. Die Nachrichten, die im Fernsehzimmer liefen, zeigten Julia in einem hübschen, blauen Kostüm, die Haare zu einem weichen Knoten

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