Vater unser
David Marquette an paranoider Schizophrenie leidet», sagte Levenson.
« Sie und Dr. Hayes haben beide bestätigt, dass er in der Nacht vom achten auf den neunten Oktober 2005 aufgrund seiner Krankheit unter psychotischen Wahnvorstellungen litt, Stimmen hörte und visuelle Halluzinationen hatte, die ihn glauben ließen, seine Familie sei von Dämonen besessen und er müsse die Seelen seiner Frau und seiner Kinder retten.»
« Einspruch!», sagte Rick.
« Steckt darin irgendwo eine Frage? Oder hält die Verteidigung bereits ihr Schlussplädoyer?»
« Seien Sie nicht so kleinlich, Mr. Bellido. Ich habe Ihnen auch einen gewissen Spielraum gelassen», erwiderte Farley. Dann sah er über den Rand seines Kaffeebechers hinweg zu Levenson.
« Bitte runden Sie Ihre Ausführungen zu einer Frage ab, Herr Verteidiger. Tempus fugit.» Levenson zuckte mit den Schultern.
« Dann frage ich Sie, Doktor: In Anbetracht dieser geistigen Erkrankung, dieser Geisteskrankheit namens Schizophrenie – hat David gewusst, dass das, was er tat, falsch war? War er in der Lage, zum Tatzeitpunkt Richtig und Falsch voneinander zu unterscheiden?» Natürlich achtete er sorgfältig darauf, seinen Mandanten nicht als Mörder zu bezeichnen. Es war ein heikles Spiel mit Worten. Ohne die Geschworenen gegen seinen Mandanten aufzubringen, musste er sie mit der juristischen Terminologie vertraut machen, da auch Richter Farley sie darüber belehren würde, bevor sie sich zu den Beratungen zurückzogen.
« Einspruch! Suggestivfrage.» Farley warf Rick einen finsteren Blick zu. Dr. Koletis wartete die Entscheidung des Richters gar nicht erst ab.
« Meiner Meinung nach war David in der Nacht, in der seine Familie ermordet wurde, in der Tat unzurechnungsfähig. Er litt unter einer akuten Psychose und Wahnvorstellungen. Er kann und will immer noch nicht über die Einzelheiten der Tat sprechen, da er Vergeltungsmaßnahmen befürchtet. Von wem, weigert er sich zu sagen, aber ich vermute, dass es sich dabei um die Dämonen handelt, von denen er seine Familie befreit zu haben glaubt. Er hat die Details verdrängt, weil er Angst hat, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber er sah Reißzähne bei seinem dreijährigen Sohn, die Augen seiner Tochter glühten rot, seine Frau ließ die Bibel verschwinden und gab merkwürdige Geräusche von sich, und seiner neugeborenen Tochter wuchs ein Hörn. Er glaubt, dass die Dämonen ihn mit unterschwelligen Botschaften hypnotisierten, die sie über das Radio sendeten. Seine visuellen Halluzinationen wurden durch akustische Halluzinationen verstärkt. David hörte Stimmen, die ihm immer wieder sagten, dass seine Familie nicht mehr menschlich und sein eigenes Leben in Gefahr sei. Wenn die Dämonen auch ihn überwältigten, würde es niemanden mehr geben, der seine Familie vor der Verdammnis bewahren könnte. Verstehen Sie?», fragte er und schaute dabei zu den Geschworenen hinüber.
« Er hat seine Familie nicht umgebracht, denn für ihn war sie bereits tot. Er wollte ihre Seelen vor der ewigen Verdammnis bewahren, indem er ihre Körper von den Dämonen befreite. Er litt die ganze Zeit unter einer paranoiden Wahnvorstellung.» Nur einer der Geschworenen nickte. Die anderen blickten zu Boden. Dr. Koletis wandte sich wieder an Levenson und schüttelte den Kopf.
« Um also Ihre Frage zu beantworten: Nein, David wusste nicht, dass das, was er tat, falsch war.»
« Weiß er es jetzt?» Dr. Koletis sah hinüber zum Tisch der Verteidigung. Wie an jedem Tag des Verfahrens starrte David Marquette ins Leere, stieß seine Zunge hin und her und wippte mit den Füßen.
« Mit Sicherheit nicht. Traurigerweise», beendete Koletis seine Ausführungen, « glaubt er immer noch, dass er nichts Unrechtes getan hat.»
KAPITEL 87
E IN MANN mit strähnigen langen Haaren saß mitten im Regen auf den Stufen des Gerichtsgebäudes und wurde von einem Reporter interviewt. Er trug Sandalen, Shorts und eine Zwangsjacke, an seine Brust hatte er ein Pappschild mit der Aufschrift
« Erst Medikamente, dann die Hinrichtung» geheftet. Der Regen hatte das Schild aufgeweicht, und die Schrift zerlief langsam. Julia hetzte an dem Mann, dem Reporter und der Menschenmenge aus Demonstranten, Journalisten und Prozesszuschauern vorbei ins Gerichtsgebäude. Ihr übergroßer Regenschirm schützte sie vor neugierigen Blicken. Zusammen mit Angeklagten, Zeugen, Anwälten und Polizisten passierte sie die Metalldetektoren und betrat die Eingangshalle. Dort war es derart voll, dass
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