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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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verließen. Sie packte ihre Unterlagen zusammen und warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster, konnte auf dem Parkplatz jedoch weder Ricks noch Karyns Wagen entdecken. Sie hatte nicht die geringste Lust, den beiden im Aufzug oder sonst wo zu begegnen. Sie betrachtete das Gefängnis, das geisterhaft erleuchtet inmitten des menschenleeren Häusermeers aufragte. Während South Beach erst abends richtig zum Leben erwachte, wurden in dieser Gegend nach Feierabend die Bürgersteige hochgeklappt. Vor allem an Freitagen. Büros, Anwaltskanzleien, Arztpraxen, das Gericht, das Graham Building – der ganze Block würde bis Montagmorgen um acht wie ausgestorben sein. Nur das Gefängnis nicht. Dort brannte immer Licht. Julia starrte einen Moment lang auf die beigegrauen Mauern, dorthin, wo sie den neunten Stock vermutete. Wenn Julia die Augen schloss, konnte sie die Schreie der Insassen beinahe hören ... Das Telefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken. Sie nahm aus reiner Gewohnheit ab und ärgerte sich schon im selben Augenblick darüber, weil es wahrscheinlich nur ein Reporter war, der ihr einen Kommentar für die morgige Zeitungsausgabe abluchsen wollte.
« Büro des Staatsanwalts, Valenciano», sagte sie und holte schon einmal die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche. Am anderen Ende der Leitung blieb es still.
« Hallo? Wer ist denn da?», fragte sie ungeduldig.
« Julia Valenciano?» Es war eine tiefe, dumpfe Männerstimme. Julia kam sie seltsam vertraut vor, und sie versuchte sich zu erinnern, wo sie sie schon einmal gehört hatte. Vielleicht war es der Reporter von der Post, der sie bereits am Tag zuvor angerufen hatte.
« Ja», antwortete sie.
« Am Apparat.» Als sie seinen schweren Atem hörte, beschlich sie ein merkwürdiges, unbehagliches Gefühl. Ein, aus. Ein, aus. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
« Kann ich Ihnen helfen, Sir? Ich will nicht unhöflich sein, aber es ist schon spät, und ich –»
« Er war es nicht», flüsterte die Stimme.
« Hören Sie mir zu, Frau Staatsanwältin? Er hat es nicht getan.» Dann lachte er und legte auf. V IELLEICHT WAR es bloß ein Streich, sagte sich Julia wieder und wieder, stieß die Glastüren des Graham Building auf und eilte über den verlassenen Parkplatz zu ihrem Auto. Sie warf Aktentasche und Handtasche auf den Rücksitz, setzte sich schnell hinter das Steuer und verriegelte die Tür. Dann blickte sie sich atemlos um. Weit und breit war niemand zu sehen. Vielleicht war es ein Reporter gewesen. Oder einer der Aktivisten gegen die Todesstrafe. Das musste es sein. Ein Menschenrechtler, der sie verunsichern wollte. Journalisten hatten irgendwann die Durchwahl zu ihrem Büro herausgefunden und belästigten sie seit Wochen mit Anrufen. Außerdem lauerten sie ihr überall auf, vor ihrem Büro, ihrer Wohnung, selbst beim Joggen am Strand hatte sie schon einige gesehen. Offenbar kannten jetzt auch noch andere ihre Nummer ... Julia fuhr vom Parkplatz und lenkte den Wagen auf die Interstate 95. Viele Fragen schossen ihr durch den Kopf. Warum wurde sie angerufen und nicht Rick? Er war schließlich der Hauptankläger. Aber vielleicht hatte er ja auch einen Anruf erhalten ... Wusste irgend jemand, was sie über die Handley-Morde herausgefunden hatte? Julia erinnerte sich an die Worte, die David Marquette vor Monaten im Gerichtssaal gesagt hatte. Ich habe sie gerettet. Er hatte diese Worte zu ihr gesagt. Als wüsste er, was sie dachte ... Als wüsste er über ihre Vergangenheit Bescheid. Als wüsste er von Andrew. Woher hatte der Anrufer gewusst, dass sie um diese Uhrzeit noch im Büro gewesen war? Die Verhandlung war schon seit Stunden vorbei. Wurde sie beobachtet? Ihr Auto, ihr Bürofenster? In diesem Moment? Die Haut in ihrem Nacken begann zu prickeln, und sie beschleunigte den Wagen. Ihr fiel eine Bemerkung ein, die Andrew bei einem ihrer Besuche in Kirby gemacht hatte. Nur weil man paranoid ist, heißt das noch lange nicht, dass man nicht verfolgt wird, jetzt war sie paranoid. Aber sie hatte auch allen Grund dazu. Sie verließ die Interstate einige Ausfahrten früher als gewöhnlich, fuhr über Nebenstraßen nach Hause und behielt dabei die ganze Zeit den Rückspiegel im Auge, um sicherzugehen, dass ihr niemand folgte. Sie parkte nicht auf ihrem eigenen Parkplatz, sondern auf dem des Apartmentkomplexes auf der anderen Straßenseite, und schlich über die Gehwege zwischen den Nachbargebäuden nach Hause. Am liebsten hätte sie Lat angerufen und ihm erzählt,

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