Vater unser
Tisch gehen würden. Er wünschte, er wäre einer von ihnen. Dann gähnte er wieder und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es nicht klug, gleich nach Miami zurückzufahren, aber sie hatten so viel zu tun, dass an Schlaf ohnehin nicht zu denken war.
« Ach übrigens – nenn mich bloß nicht Boss!», sagte Lat.
« Aber so ist es doch», erwiderte Brill. Lat blieb stehen.
« Ich bin nicht dein Boss.» Auch Brill war stehen geblieben.
« Das ist dein Fall, oder etwa nicht?», fragte er mit einem Lächeln, das nicht sehr freundlich war.
« Ist nicht meine Entscheidung.»
« Nee», sagte Brill und ging weiter.
« Aber jetzt ist es eben so. Und damit bist du mein Boss.» Er kaute auf dem Zahnstocher herum, den er aus dem Restaurant hatte, und keiner von beiden sagte etwas. Schließlich fragte Brill:
« Hast du dich über mich erkundigt?»
« Klar», antwortete Lat, ohne zu zögern.
« Und?»
« Willst du’s hören?»
« Raus damit.»
« Hitzköpfig, schwierig, unausstehlich – und, ich zitiere: ‹ein Arschloch, das jeden bescheißt›.»
« Das Letzte ist garantiert von Patti Corderi», sagte Brill.
« Darauf solltest du nichts geben. Die hat sie nicht mehr alle.»
« Keine Sorge.» Überraschenderweise lief das Gespräch lockerer, als Lat gefürchtet hatte. Obwohl Brill tatsächlich all die Charakterschwächen aufwies, vor denen man ihn gewarnt hatte, mochte er ihn. Anders als Sonny Crocket und Riccardo Tubbs oder Starsky und Hutch arbeitete man im Morddezernat von MiamiDade nicht mit einem festen Partner zusammen. Daher war es eine nette Abwechslung, von Anfang an jemanden an der Seite zu haben. Als sie den Wagen erreichten, steuerte Lat auf die Beifahrertür zu und sagte drohend:
« Diesmal wird nicht geschlafen, Schnarchsack.»
« Hat mir besser gefallen, als du mich dein Dornröschen genannt hast», erwiderte Brill.
« Ich habe dich nie mein Dornröschen genannt.»
« So hab ich’s aber verstanden. Schade.»
« Diesmal fährst du», erklärte Lat gähnend und zog die Autoschlüssel aus der Tasche. Für jemanden, der normalerweise unter Schlaflosigkeit litt, war er hundemüde.
« Ist der Wagen neu?», fragte Brill und strich über die Motorhaube des Chevrolet Impala.
« Brandneu. Ich habe drei Jahre lang auf der Warteliste gestanden. Vorher hatte ich einen alten Taurus, eine absolute Schrottkarre.» Er warf Brill die Schlüssel zu.
« Fahr vorsichtig. Abgesehen davon, dass ich an meinem Leben hänge, sind andere Fahrer nicht versichert.»
« Wow», sagte Brill und fing die Schlüssel mit einer Hand auf.
« Seit meinem Unfall kriege ich keinen richtigen Dienstwagen mehr, immer nur beschlagnahmte Dealerautos. Du weißt schon, diese Flintstones-Karren mit durchgerostetem Unterboden. Keine Schlitten wie bei Miami Vice. Ich weiß noch nicht mal, wie ein Lamborghini aussieht.»
« Was für ein Unfall?»
« Das wusstest du nicht?» Lat seufzte und ging mit ausgestreckter Hand um den Wagen herum zur Fahrerseite.
« Du bist ein Arsch. Gib mir die Schlüssel und steig ein.»
« Ich wäre gefahren, Lat, wirklich. Ich bin sehr für Arbeitsteilung.» Brill ließ lachend die Schlüssel in Lats Hand fallen.
« Wenn du einschläfst, kannst du dich auf was gefasst machen», knurrte Lat und stieg in den Wagen.
« Notfalls spiele ich die ganze Zeit John Denver.»
« Du verarschst mich. Von dem hat keiner ‘ne CD im Auto – außer seine eigene Mutter vielleicht», sagte Brill gähnend, zog seine Jacke aus und rollte sich auf dem Sitz zusammen.
« Übrigens – mit ‹hitzköpfig› und ‹schwierig› kann ich leben. Und von dieser Spinnerin ist ‹Arschloch› ein richtiges Kompliment.» Er knüllte die Jacke zusammen und benutzte sie als Kopfkissen.
« Schön, dass du es so aufnimmst», sagte Lat und stellte das Radio an. Brill schloss die Augen und lächelte.
« Immer noch besser als das, was ich über dich gehört habe ...»
KAPITEL 17
R ICHTER FARLEY stand auf und stürmte mit wallen— der Robe aus dem Gerichtssaal. Als die Tür mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss fiel, herrschte Totenstille im Saal. Julia starrte ungläubig zum Richtertisch und ignorierte das aufgeregte Flüstern, das plötzlich um sie herum ausbrach. Letray Powers jubelte laut, als Scott Andrews, sein Verteidiger, ihm sagte, er sei frei und könne gehen. Da keine Verwandten oder Freunde zu seiner Unterstützung im Gericht erschienen waren, klatschte er stattdessen seinen Verteidiger ab. Nach ein paar Minuten Jubelgeheul stolzierte er zum
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