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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Tisch der Staatsanwaltschaft und blieb vor Julia stehen. Sie spürte Letrays eisigen Blick, als er darauf wartete, dass sie ihm in die Augen sah.
« Pech gehabt, Schlampe», zischte er. Sein Grinsen war alles andere als freundlich und entblößte eine ganze Reihe von Goldzähnen. Ihr war unangenehm bewusst, dass er keine Handschellen mehr trug.
« Wir sind noch nicht fertig», sagte sie kühl und erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln.
« Ich bezweifle, dass sie es lange draußen aushalten, Mr. Powers.»
« Kommen Sie, Letray, wir gehen. Sie hatten schon genug Arger», warnte Scott und zog seinen Mandanten am Ärmel des viel zu weiten Jacketts, das er ihm für die Verhandlung ausgeliehen hatte, zu seinem Platz. Kurz darauf wurde der pfeifende Letray von zwei Gefängnisbeamten den Weg zurück begleitet, den er gekommen war. Doch er würde nicht wieder einchecken, drüben im Regierungshotel. Diesmal überquerte er die Brücke über die Straße zum Bezirksgefängnis nur, um die Kleider abzuholen, in denen er verhaftet worden war. Danach war er ein freier Mann.
« Wir sehen uns», hörte Julia ihn noch rufen, als er den Gerichtssaal verließ.
« Und sagen Sie Pamela, dass sie bald mit meinem Besuch rechnen kann.» Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Julia war fassungslos. Es hatte sie einen ganzen Tag gekostet, die sechs Geschworenen auszuwählen, und einen weiteren, ihr Eröffnungsplädoyer zu halten und die Zeugen aufzurufen. Und Richter Leonard Farley hatte nur fünf Minuten gebraucht, um Letray freizusprechen. Normalerweise entschieden die Geschworenen über Freispruch oder Verurteilung des Angeklagten. Der Richter hatte nur den Vorsitz über die Verhandlung. Er stellte sicher, dass ausschließlich Aussagen und Beweismittel zugelassen wurden, die rechtlich relevant waren. Der Richter sorgte dafür, dass sich alle an die Spielregeln hielten. Doch für den Fall, dass keine geeigneten Geschworenen gefunden werden konnten, hatte die Legislative von Florida ein Hintertürchen in das Gesetz eingebaut – eins, das so gut wie nie benutzt wurde. Falls ein Richter nach den Darlegungen der Staatsanwaltschaft der Ansicht war, dass kein halbwegs vernünftiger Geschworener den Angeklagten für schuldig befinden würde, konnte er den Geschworenen viel Zeit und Ärger ersparen, indem er den Angeklagten eigenmächtig freisprach. In ihrem Fall jedoch, da war sich Julia sicher, ging es Farley nicht um Vernunft oder Zeitersparnis, sondern um persönliche Rache. Und das Schlimmste an einem richterlichen Freispruch war, dass man keine Berufung einlegen konnte. Sie konnte nur danebenstehen und winken, wenn Letray in den Sonnenuntergang von Miami hinausspazierte. Julia saß einige Minuten lang ratlos an ihrem Tisch und wich dem neugierigen Blick aus, den Farleys selbstgefällige Gerichtsschreiberin Ivonne ihr zuwarf. Wahrscheinlich wartete sie nur darauf, dass Julia in Tränen ausbrach oder sich in einer Schimpftirade über Farley erging, von der sie dem Richter brühwarm berichten würde. Dann blieb Scott Andrews auf seinem Weg aus dem Saal vor Julia stehen, gab ihr die Hand und bekundete mit den üblichen Floskeln sein Bedauern. Leise fügte er hinzu:
« Ich hätte ihn nicht freigesprochen.» Julia biss sich auf die Lippe. Das machte die Sache auch nicht besser. Letray Powers hatte das Gesicht seiner Freundin mit einer Rasierklinge verunstaltet und außerdem ein ellenlanges Vorstrafenregister wegen gewalttätiger Übergriffe. Aber das schien außer Julia niemanden zu interessieren. Selbst ohne die Aussage des Opfers hatte sie bewiesen, dass Powers schuldig war. Sie wusste es, Farley wusste es, Scott Andrews wusste es – selbst Letray Powers wusste es. Aber offenbar bedeutete das nichts, dachte Julia verbittert. Als Ivonne enttäuscht abzog, erhob sich Julia, packte die beiden Kisten mit Akten und Gesetzbüchern auf ihren Klappwagen und steuerte auf den Ausgang zu. Erst in diesem Moment entdeckte sie John Latarrino an der Tür.
« Sie sehen nicht besonders glücklich aus», begrüßte er sie.
« Was machen Sie denn hier?», fragte Julia überrascht und sah sich im Saal um, ob noch weitere Überraschungsgäste da waren.
« Ich komme gerade aus der Gerichtsmedizin», erwiderte er.
« Eigentlich wollte ich zu Bellido, aber seine Sekretärin sagte mir, er ist gar nicht in der Stadt.» Er griff nach dem Klappwagen.
« Darf ich Ihnen den abnehmen?»
« Gern, danke», sagte sie und überließ ihm die Akten.
« Rick ist auf einer

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