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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Wohnzimmer un d drehte die Tonstärke hoch. » Ich habe hier unter den eingeschickten Bildern manche Arbeiten beobachtet, bei denen tatsächlic h ang e nommen werden muß, daß gewissen Menschen das Auge die Dinge anders zeigt, als sie sind, das heißt, daß es wir k lich Männe r gibt, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als verkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wi e sen blau, Himmel grün,
    Wolken schwefelgelb usw. empfinden oder, wie sie vie l leicht sagen, erleben. ..«
    Es war zu diesen Tagen üblich, die bedeutendsten An s prachen des Führers wiederholt zu senden. Diese hier wi e derholten s ie jede s Jahr - den Angriff auf die modernen Maler, vorgetragen bei der Eröffnung des Hauses der Deu t schen Kunst 1937.
    Ohne auf ihre schweigenden Proteste zu achten, nahm März ihren Koffer ebenso wie einen auf. Sie zog sich ihren blauen Mantel an.
    Über die eine Schulter hängte sie sich einen Lederbeutel. Die Kamera baumelte ihr von der anderen. Auf der Schwelle drehte si e sich zu einem letzten Abschiedsblick um.
    »Entweder diese sogenannten >KünstIer< sehen die Dinge wirklich so und glauben daher an das, was sie da r stellen, dann wäre nur z u untersuchen, ob ihre Augenfehler entweder auf mech a nische Weise oder durch Vererbung zustande gekommen sind Im einen Fall tie f bedauerlich für diese Unglücklichen, im zweiten wichtig für das Reichsi n nenministerium, das sich dann mit der Frage zu beschäft i ge n hätte, wenigstens eine weitere Vererbung d e rartiger grauenhafter Sehstörungen zu unterbinden. Oder aber sie glauben selbst nicht a n die Wirklichkeit solcher Eindrücke, sondern sie bem ü hen sich aus anderen Gründen, die Natur mit diesem Humbug zu belästigen, dan n fällt so ein Vorg e hen in das Gebiet der Strafrechtspflege.«
    Sie schlossen die Tür gegen einen Sturm von Gelächter und brausendem Beifall.
    Als sie die Treppen hinabgingen, flüsterte Charlie: »Wie lange wird das weitergehen?«
    »Das ganze Wochenende.«
    »Das wird den Nachbarn Freude machen.«
    »Aja, aber wird es einer wagen, dich aufzufordern, es leiser zu drehen?«
    Am Fuß der Treppe stand still wie ein Wachtposten die Hausmeisterin - eine Flasche Milch in der Hand, ein Exemplar des >Völkische n Beobachter< unter den Arm geklemmt. Sie sprach zu Charlie, starrte aber März an. »Guten Morgen, Fräulein Maguire, »Guten Morgen,
    Frau Schustermann. Das ist mein Vetter aus Aachen. Wir gehen jetzt los, um Fotos von den spontanen Feiern in den Straße n aufzunehmen.« Sie tätschelte ihre Kamera. »Lo s doch, Harald, sonst werden wir noch den Anfang ve r passen.«
    Die alte Frau blickte März weiterhin finster an, und er fragte sich, ob sie ihn von dem früheren Abend her wied e rerkenne. Er bezweifelt e das: Sie würde sich nur an die Uniform erinnern. Nach ein paar Augenblicken grunzte sie und watschelte in ihre Wohnung zurück.
    »Du lügst ganz schön glaubwürdig«, sagte März, als sie auf der Straße waren.
    »Ausbildung der Journalistin« Sie gingen schnell zum Volkswagen. »Es ist gut, daß du die Uniform nicht anhast. Sonst hätte si e wirklich einige Fragen gestellt.«
    »Es ist nicht möglich, Luther in einen Wagen zu kri e gen, den ein Mann in der Uniform eines SS-Sturmbannführers fährt. Sag mir: seh e ich wie ein Bo t schaftsfahrer aus?«
    »Wie einer der feinsten.«
    Er verstaute den Koffer auf dem Rücksitz des Wagens. Als er auf dem Vordersitz Platz genommen hatte, sagte er, bevor er den Motor anließ: »Du kannst nie mehr zurüc k kommen, weißt du das? Ob das jetzt klappt oder nicht. E i nem Überläufer helfen - sie werden dich für eine Spionin halten. Und da geht es nicht mehr nur um Ausweisung. Es geht um etwas viel Schlimmeres.« Sie wedelte das mit der Hand fort. »Mir hat es hier sowieso nie gefallen.« Er drehte den Zündschlüssel, und sie fuhren in den Morgenverkehr hinein.

    Sie fuhren sehr vorsichtig, überprüften alle dreißig S e kunden, ob sie verfolgt würden, und erreichten den Adolf-Hitler-Platz um 20 vor 9. März fuhr einmal um den Platz herum. Reichskanzlei, Große Halle, Gebäude des Obe r kommandos der Wehrmacht - alles schien so, wie es sein sollte: das Quaderwerk schimmerte, die Wachen zogen auf; alles war so wahnsinnig außer allen Maßen wie immer. Ein Dutzend Reisebusse spie bereits ihre ehrfurchtsvollen L a dungen aus. Eine Reihe Kinder stieg im Gänsemarsch die verschneiten Stufen zur Großen Halle in Richtung auf die roten granitenen Säulen empor, wie eine

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