Vaterland
Ausweis zurück. »Ich weiß nicht ...« »Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Unterwachtmeister.« März kurbelte das Fenster hoch und beendete die Auseinandersetzung.
1 Minute nach 9. Charlie und Nightingale sprachen i m mer noch. Er sah in seinen Rückspiegel. Der Bulle war ein paar Schritte weggegangen, war stehengeblieben und star r te jetzt zum Wagen zurück. Er sah nachdenklich aus, dann entschloß er sich, ging zu seinem Krad und nahm den Funkhörer auf. März fluchte. Er hatte noch 2 Minuten, höchstens. Von Luther: kein Anzeichen.
Dann sah er ihn.
Ein Mann mit einer dickrandigen Brille, der einen sch ä bigen Mantel trug, war aus der Großen Halle aufgetaucht. Er stand da un d blickte um sich, die eine Hand gegen einen der Granitpfeiler gelegt, als ob er Furcht habe, den losz u lassen. Dann begann er zögernd,
die Stufen herabzusteigen.
März ließ den Motor an.
Charlie und Nightingale wandten ihm immer noch die Rücken zu. Er ging auf sie zu.
Los doch. Los doch. Seht euch nach ihm um, um Hi m mels wille n In diesem Augenblick drehte sich Charlie um. Sie sah den alten Mann und erkannte ihn. Luthers Arm ging hoch, wie der eine s erschöpften Schwimmers, der nach dem Uferrand greift.
Etwas wird schiefgehen , dachte März plötzlich. Irgen d was ist nicht in Ordnung. Etwas, an das ich nicht gedacht habe ...
Luther hatte noch 5 Meter zu gehen, als sein Kopf ve r schwand.
Er verschwand in einem Wölkchen aus feuchtem rotem Sägemehl, und dann kippte sein Körper vorneüber und rol l te die Stufen herab,
und Charlie warf die Hände hoch, um ihr Gesicht vor dem Sonnenaufgang aus Blut und Hirn zu schützen.
Ein Herzschlag. Und noch ein halber. Dann heulte der Knall eines Hochgeschwindigkeitsgewehres über den Platz, und scheuchte di e Tauben auf und zerstreute sie wie grauen Abfall über den Platz.
Leute begannen zu schreien.
März warf den Gang ein, ließ seinen Blinker aufleuchten und schnitt scharf in den Verkehr, ohne sich um das empö r te Gehupe z u kümmern - quer über eine der Spuren, und dann über eine weitere. Er fuhr wie ein Mann, der glaubt, er sei u n verwundbar, als ob ih n Glaube und Willenskraft allein vor einem Zusammenstoß schützen könnten. Er konnte sehen, daß sich eine kleine Gruppe um die Leich e gesammelt hatte, aus der Blut und Gewebeteilchen die St u fen hinabströmten. Er konnte die Polizeipfeifen hören. G e stalten in schwarze n Uniformen strömten aus allen Ric h tungen herbei - Globus und Krebs unter ihnen.
Nightingale hatte Charlie beim Arm gepackt und riß sie von der Szene fort, auf die Straße zu, wo März das Auto bremste. Der Diploma t riß die Tür auf und warf sie auf den Hintersitz und sich hinterher. Die Tür krachte zu. Der Volkswagen schoß d a von.
Wir sind verraten worden.
14 Männer waren zusammengerufen worden jetzt waren 14 tot.
Er sah Luthers ausgestreckte Hand, den Springbrunnen aus seinem Hals schießen, seinen Rumpf in den Sturz nach vorn e explodieren. Globus und Krebs rennen Geheimnisse sich in jenem Schauer aus Gewebe verstreuen; keine Re t tung mehr.. .
Verraten...
Er fuhr in ein unterirdisches Parkhaus, unmittelbar an der Rosenstraße, nahe der Börse, wo früher die Synagoge gestanden hatte - sein Lieblingsplatz, um Informanten zu treffen. Konnte es irgendwo einsamer sein? Er zog einen Parkschein aus dem Automaten und steuerte den Wagen die steile Rampe hinab. Die Reifen kreischten auf dem B e ton; die Scheinwerfer beleuchteten alte Flecken aus Öl und Kohle auf Boden und Wänden wie Höhlenmalereien.
Ebene zwei war leer - an Samstagen war das Finanzvie r tel Berlins eine Einöde. März parkte in einer Bucht in der Mitte. Als der Motor erstarb, war die Stille vollko m men.
Niemand sagte etwas. Charlie tupfte mit einem Papiert a schentuch an ihrem Mantel herum. Nightingale lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Plötzlich ließ März seine Fäuste auf das Lenkrad donnern. »Wem haben Sie es g e sagt?« Nightingale öffnete die Augen. »Niemandem« »Dem Botschafter? Washington? Dem Chefspion vor Ort?« »Ich sage Ihnen doch: niemandem.« In seiner Sti m me war Ärger. »Das ist keine Hilfe«, sagte Charlie.
»Außerdem ist es beleidigend und absurd. Mein Gott, ihr beiden ... «
»Betrachten Sie die Möglichkeiten.« März zählte sie an den Fingern ab. »Luther hat sich jemandem verraten - l ä cherlich. Die Telefonzelle in der Bülowstraße war ang e zapft - unmöglich: Selbst die Gestapo hat nicht die Mittel, jedes
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