Vaterland
Sie, ich, die Gestapo - den guten Parteigenossen Luther unterschätzen. Erinnern Sie sich, was er zu Charli e über das 9-Uhr-Treffen gesagt hat: Sie müssen auch da sein.«
»Na und?«
»Er wußte, daß dies Ihre Reaktion sein würde. Verge s sen Sie nicht, er hat im Außenministerium gearbeitet. Er nimmt an, daß angesicht s einer bevorstehenden Gipfelko n ferenz die Amerikaner ihn liebend gerne direkt der Gestapo in den Schoß werfen möchten. Warum hätt e er sonst nicht einfach Montag abend ein Taxi vom Flughafen zur Bo t schaft genommen? Deshalb will er eine Journalistin dabe i haben.
Als Zeugin.« März bückte sich und ho b die Dokumente auf. »Verzeihen Sie mir, als einfacher Polizist verstehe ich nicht die Funktionsweise der amer i kanischen Presse. Abe r Charlie hat jetzt ihre Geschichte, oder nicht? Sie hat St u ckarts Tod, das Schweizer Bankkonto, diese Papiere, ihre Bandaufnahmen vo n Luther ...« Er drehte sich zu ihr um. »Die Tatsache, daß die amerikanische Regierung sich en t scheidet, Luther kein Asyl zu gewähren,
sondern ihn der Gestapo überläßt - würde e s das für die verkommenen US-Medien nicht um so attraktiver m a chen?«
Charlie sagte: »Darauf kannst du wetten.«
Nightingale sah wieder verzweifelt aus. »He. Laß das, Charlie. All das war nicht für die Veröffentlichung. Ich habe niemals gesagt, da ß ich irgendeiner dieser Überlegu n gen zustimme. Es gibt viele von uns in der Botschaft, die meinen, daß Kennedy nicht komme n sollte. Unter ke i nen Umständen. Ausrufezeichen, Er spielte mit seiner Fliege herum. »Aber die Lage ist höllisch verzwickt.«
Schließlich kamen sie zu einer Übereinkunft. Nighting a le würde Charlie um 5 Minuten vor 9 auf den Stufen der Großen Halle treffen. Vorausgesetzt, Luther käme, würden sie ihn schleunigst in einen Wagen schaffen, den März fa h ren sollte. Nightingale würde sich Luthers Geschichte a n hören und auf der Grundlage dessen, was er hörte, en t scheiden, ob er ihn mit in die Botschaft nähme. Er würde weder dem Botschafter noch Washington noch sonst j e mandem sagen, was er vorhatte. Sobald sie auf dem Gelä n de der Botschaft wären, würde es bei, wie er sagte, »höh e ren Autoritäten« liegen, über Luthers Schicksal zu en t scheiden - aber sie würden in dem Bewußtsein zu entsche i den haben, daß Charlie die ganze Geschichte hatte und sie drucken würde. Charlie war zuversichtlich, daß das State Department nicht wagen würde, Luther abzuweisen.
Wie man ihn dann aus Deutschland herausschaffen wü r de, war eine ganz andere Angelegenheit.
»Wir haben da so unsere Methoden«, sagte Nightingale. »Wir haben es schon früher mit Überläufern zu tun gehabt Aber darüber will ich nicht diskutieren. Nicht vor einem SS-Offizier. Wie ver trauenswürdig auch immer.« Am meisten besorgt, sagte er, sei er um Charlie. »Man wird dich mächtig unter Druck setzen, damit du den Mund hältst.« »Damit kann ich fertig werden.«
»Sei da nicht so sicher. Kennedys Leute kämpfen unfair. Na schön. Nehmen wir an, Luther hat da wirklich was. S a gen wir mal das bringt alle auf - Reden im Kongreß, D e monstrationen, Leitartikel - wir haben ein Wahljahr, ve r giß das nicht! Und dann ist das Weiße Haus urplötzlich in Schwierigkeiten wegen des Gipfels. Was meinst du, we r den sie machen?« »Damit kann ich fertig werden.«
»Sie werden ganze Lastwagen voll Scheiße über deinen Kopf ausschütten und über diesen alten Nazi. Sie werden sagen: Was hat er denn Neues? Dieselben alten Geschic h ten, die wir seit zwanzig Jahren hören, und ein paar Dok u mente, die wahrscheinlich von den Kommunisten g e fälscht worden sind. Kennedy wird vor die Kameras treten, und er wird sagen: Meine amerikanischen Landsleute, fragt euch doch selbst, warum das alles ausgerechnet jetzt hochg e kommen ist? Wer hat ein Interesse daran, das Gipfeltre f fen zu verhindern?<« Nightingale lehnte sich zu ihr hin, sein Gesicht nur wenige Zentimeter vor ihrem. »Als erstes we r den sie Hoover und das FBI darauf ansetzen. Kennst du irgendwelche Linke, Charlie? Irgendwelche jüdische Mil i tante? Hast du mit irgendwelchen geschlafen? Denn so s i cher wie die Hölle brennt, werden sie ein paar aufgabeln, die aussagen, du hast, ob du ihnen nun jemals begegnet bist oder nicht.«
»Fick dich selbst, Nightingale.« Sie schob ihn mit der Faust fort. »Fick dich.«
Nightingale liebte sie wirklich, dachte März. Verloren in Liebe, hoffnungslos verliebt. Und sie
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