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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ist mit der Schießerei heut morgen, der auf dem Platz?«
    Der Angestellte seufzte, beleckte einen nikotingelben Zeigefinger und wendete eine Seite um. »Männlich, Mitte 6o, identifiziert als Stark, Alfred. Ist vor ner Stunde reing e kommen.« »Das ist er. Wie hat man ihn identifiziert?« »Er hatte nen Ausweis in der Tasche.«
    »Richtig.« März ging entschlossen auf den Aufzug zu und kam so jedem Widerspruch zuvor. »Ich finde meinen Weg nach unten.« Es war sein Unglück, daß er sich, als die Aufzugstür aufging, Aug in Auge mit Dr. August Eisler fand. »März!« Eisler sah schockiert aus und trat einen Schritt zurück. »Man erzählt sich, Sie seien verhaftet wo r den.« »Man erzählt Unfug. Ich arbeite verdeckt.«
    Eisler starrte seinen Zivilanzug an. »Als was? Als Z u hälter?« Das erheiterte den SS-Chirurgen dermaßen, daß er sich die Brille abnehmen und die Augen trocknen mußte. März fiel in sein Gelächter ein.
    »Nein, als Pathologe. Ich hab mir sagen lassen, die B e zahlung sei gut, und es gibt so gut wie keine Arbeitsstu n den.« Eisler hörte zu lächeln auf. »Sie haben gut reden. Ich bin seit Mitternacht hier.« Er senkte die Stimme. »Ein sehr hohes Tier. GestapoOperation. Alles pst, pst.« Er klopfte gegen seine lange Nase. »Ich kann nichts sagen.«
    »Entspannen Sie sich, Eisler. Ich kenne den Fall. Hat Frau Luther die Überreste identifiziert?« Eisler sah en t täuscht aus. »Nein«, murmelte er. »Wir haben ihr das er s part.« »Und Stark?«
    »Mein Gott, März - Sie sind aber gut unterrichtet. Ich bin gerade auf dem Weg, mich mit ihm zu befassen. Wo l len Sie mich begleiten?« In seinem Geiste sah März wieder den explodierenden Kopf und den dicken Strahl aus Blut und Gehirn. »Nein. Danke.« »Hab ich mir gedacht. Womit hat man ihn erschossen? Mit einer Panzerfaust?« »Haben sie den Mörder gefaßt?«
    »Sie sind der Fahnder. Erzählen Sie's mir. >Nicht zu tief graben. war, was man mir gesagt hat.« »Starks Sachen. Wo sind sie?« »Verpackt und fertig zum Abtransport. Im E i gentums zimmer.« »Wo ist das?«
    »Den Korridor runter. Vierte Tür links.«
    März ging. Eisler rief ihm nach: »He, März! Heben Sie mir ein paar Ihrer besten Huren auf!« Das schrille Geläc h ter des Pathologen verfolgte ihn noch lange den Gang h i nab.
    Die vierte Tür links war nicht abgeschlossen. Er kontro l lierte, ob er unbeobachtet war, und trat dann ein. Es war ein kleiner Lagerraum, drei Meter breit, mit gerade so viel Platz, daß ein Mensch in der Mitte gehen konnte. Auf be i den Seiten des Mittelganges standen staubige Metallregale voller Kleiderbündel in dichtem Plastik. Dann gab es da Koffer, Handtaschen, Schirme, Beinprothesen, einen gr o tesk verformten Kinderwagen, Hüte. .. Die Habseligkeiten der Toten wurden gewöhnlich von den Angehörigen aus dem Leichenschauhaus abgeholt. Wenn die Todesumstände verdächtig waren, wurden sie von den Fahndern mitg e nommen oder unmittelbar in die Gerichtsmedizin und ihre Labors in Schönefeld geschickt. März begann, die Plasti k karten zu überprüfen, auf denen Zeit und Ort des Todes sowie der Name des Opfers verzeichnet wurden. Einiges von dem Zeugs lagerte hier schon seit Jahren - pathetische Bündel aus Lumpen und Kinkerlitzchen, die Hinterlasse n schaft von Leichen, um die sich niemand kümmerte, nicht einmal die Polizei.
    Wie typisch für Globus, seinen Fehler nicht einzugest e hen. Die Unfehlbarkeit der Gestapo mußte um jeden Preis gewahrt werden! Deshalb wurde Starks Körper weiterhin als der von Luther behandelt, während Luther als der H e rumtreiber Stark in ein Armengrab geraten würde.
    März zerrte das der Tür nächste Bündel hervor und dre h te das Täfelchen ins Licht. 18.4. 64. Adolf-Hitler-Platz Stark, Alfred. So hatte also Luther diese Welt verlassen wie der erbärmlichste KZ-Insasse gewaltsam, halbverhungert, in den schmutzigen Kleidern eines anderen, die Leiche u n geehtt, und ein Fremder durchwühlt nach seinem Tod seine Habseligkeiten. Poetische Gerechtigkeit – so ziemlich die einzige Art Gerechtigkeit, die es überhaupt gibt.
    Er zog sein Taschenmesser heraus und durchschnitt das aufgebauschte Plastik. Der Inhalt ergoß sich auf den Boden wie Innereien.
    Ihm lag nichts an Luther. Alles, woran ihm lag, war, wie Globus in den Stunden zwischen Mitternacht und 9 Uhr morgens hatt e herausfinden können, daß Luther noch lebte.
    Amerikaner!
    Er riß die letzten Stücke Plastik weg.
    Die Kleider stanken nach Scheiße und Pisse,

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