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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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um Entschuldigung ... «
    »Aber Frau März sieht ganz gewiß nicht alt genug aus, um eine siebenjährige Tochter zu haben!«
    »Sie wurde in einem noch beeinflußbaren Alter von e i nem bildschönen Fahnder verführt...«
    »Eine äußerst glaubwürdige Geschichte«
    Die Kiesauffahrt führte in einer Schleife um ein krei s förmiges Blumenbeet. März versuchte, sich vorzustellen, wie alles im Januar 1942
    ausgesehen haben mochte. Rauhreif auf der Erde, oder vielleicht Frost. Kahle Bäume. Ein Doppelposten friert n e ben dem Eingang. Di e Regierungswagen knirschen einer nach dem anderen über den vereisten Kies. Ein Adjutant grüßt und tritt vor, um die Schläge z u öffnen. Stuckart: gut aussehend und elegant. Bühler:
    seine Notizen eines Rechtsanwalts sorgsam in seiner Aktentasche sortiert. Luther: hinter seiner dicken Brille zwinkernd. Blieb ihr Ate m hinter ihnen in der Luft hängen? Und Heydrich. Ist er als Gastgeber wohl zuerst erschienen? Oder als letzter, um seine Mach t vorzuführen? Hat die Kä l te sogar seinen bleichen Wa n gen Farbe verliehen?
    Das Haus war verriegelt und verlassen. Während Charlie eine Aufnahme vom Eingang machte, suchte März sich einen Weg durch da s niedrige Gebüsch, um einen Blick durch ein Fenster zu werfen. Reihen von zwergenhaften Schultischen mit zwe r genhaften Stühlchen,
    die umgekehrt auf den Tischen standen. Zwei Anschla g tafeln, von denen man den Schülerinnen die beso n deren Tischgebete der Parte i beibrachte. Das eine:

    VOR DEN MAHLZEITE N
    Führer, mein Führer, mir vom Herrn gesandt,
    Schütze und bewahre mich, solange ich lebe!
    Der du Deutschland aus der tiefsten Verzweiflung gere t tet hast,
    Dir danke ich heute für mein täglich Brot.
    Bleib bei mir und verlaß mich nicht,
    Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht!
    Heil mein Führer!
    Das andere:
    NACH DEN MAHLZEITE N
    Dank sei dir für dieses reichliche Mahl, Schützer der J u gend und Freund unsrer Alten! Ich weiß, du hast So r gen, doch sorge dich nicht, Ich bin mit dir bei Tag und bei Nacht. Lege dein Haupt mir getrost in den Schoß, Und sei gewiß: du mein Führer bist groß! Heil mein Führer!
    Kindliche Malereien schmückten die Wände - blaue Wi e sen, grüner Himmel, schwefelgelbe Wolken. Kinde r kunst ist der entarteten Kunst gefährlich nahe; solche Perversi o nen würde man ihnen auszutreiben haben ... März konnte den Schulgeruch selbst von hier aus riechen: die vertraute Mischung aus Kalkstaub, Holzfußböden und schalem inst i tutionalisiertem Essen. Er wandte sich ab. Im Nachbarga r ten hatte jemand ein Freudenfeuer angezündet.
    Stechender weißer Rauch - aus nassem Holz und toten Blättern - trieb über den Rasen hinter dem Haus. Eine weite Freitreppe, die von steinernen Löwen mit gefrorenem Hohn flankiert wurde, führte hinab zum Rasen. Jenseits des R a sens sah man durch die Bäume die stumpfe glasige Obe r fläche der Havel. Sie blickten nach Süden. Schwanenwe r der, kaum einen halben Kilometer entfernt, würde von den Fenstern des oberen Stockwerks gerade sichtbar sein. Als Bühler die Villa Anfang der fünfziger Jahre kau f te, hatte da die Nähe der beiden Gebäude zueinander für ihn ein Motiv ergeben - war er der Verbrecher, den es zum Ort seines Verbrechens zurückzieht? Und wenn ja, welches Verbr e chen war es dann genau?

    Am Ende des Gartens standen ein paar hölzerne Tonnen, grün vom Alter, die der Gärtner verwendete, um in ihnen Regenwasser zu sammeln. März und Charlie saßen Seite an Seite auf ihnen, ließen die Beine baumeln und blickten über den See. Er hatte keine Eile, sich weiter zu bewegen. Niemand würde hier nach ihnen Ausschau halten. Das alles war von etwas unbeschreiblich Melancholischem umgeben - die Stille, die toten Blätter, die über den Rasen trieben, der Geruch nach Rauch - ein Etwas, das der Gegensatz zum Frühling war. Es sprach vom Herbst und vom Ende aller Dinge.
    Er sagte: »Hab ich dir erzählt, daß es in unserer Stadt Juden gab, bevor ich zur See ging? Als ich zurückkam, waren alle verschwunden. Ich habe nach ihnen gefragt. Die Leute sagten mir, sie seien in den Osten evakuiert worden. Zur Wiederansiedlung.« »Haben sie das geglaubt?«
    »In der Öffentlichkeit sicher. Und selbst im privaten Kreis war es weiser, nicht darüber zu spekulieren. Und leichter. So zu tun, als ob es wahr ist.«
    »Hast du das geglaubt?« »Ich habe nicht darüber nac h gedacht.«
    »Wen kümmert es?« sagte er plötzlich. »Nimm mal an, jeder hätte alle

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