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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Einzelheiten gewußt. Wen hätte es gekü m mert? Hätte es wirklich einen Unterschied gemacht?«
    »Jemand denkt es«, erinnerte sie ihn. »Deshalb ist jeder, der an Heydrichs Konferenz teilgenommen hat, tot. Mit Ausnahme von Heydrich«
    Er sah zum Haus zurück. Seine Mutter, die fest an Gei s ter glaubte, pflegte ihm zu erzählen, daß Ziegelgemäuer und Verputz Geschichte aufsögen und wie ein Schwamm speicherten, was sie gesehen hatten. Seither hatte März se i nen Teil an Mauern gesehen, in denen Böses getan wo r den war, und er glaubte nicht daran. Es gab nichts beso n ders Böses um Am großen Wannsee 56-58. Es war nur das gr o ße Landhaus eines Geschäftsmannes, jetzt in ein Mädche n pensionat umgewandelt. Was also sogen die Wände jetzt auf? Die Zänkereien von Heranwachsenden? Geometrieu n terricht? Prüfungsnervositäten?
    Er zog Heydrichs Einladung heraus. »Eine Besprechung mit anschließendem Frühstück.« Beginn 12 Uhr. Ende - wann? - gegen drei oder vier am Nachmittag. Zu der Zeit, da sie gingen, würde es schon zu dunkeln begonnen haben. Gelber Lampenschein aus den Fenstern; Nebel vom See. 14 Männer. Wohlgenährt; manche vielleicht vom Gest a po-Cognac beschwipst. Wagen, die nach Berlin-Mitte zurüc k fahren. Chauffeure, die lange draußen warteten, mit kalten Füßen und Nasen wie Eiszapfen ...
    Und dann war, weniger als fünf Monate später, in Zürich in der Hitze des Mittsommers Martin Luther in das Büro von Hermann Zaugg marschiert, dem Bankier der Reichen und Geängstigten, und hatte ein Konto mit vier Schlüsseln eröffnet. »Ich frage mich, warum er leere Hände hatte.« »Was?« Sie war verwirrt. Er hatte sie in ihren Gedanken unterbrochen.
    »Ich habe mir immer vorgestellt, daß Luther einen kle i nen Koffer irgendeiner Art bei sich tragen würde. Aber als er die Stufen herabkam, um dich zu treffen, hatte er leere Hände.« »Vielleicht hatte er sich alles in die Taschen g e steckt.« »Vielleicht.« Die Havel sah fest aus; ein See aus Quecksilber.
    »Aber als er aus Zürich kam, muß er mit irgendwelchem Gepäck gelandet sein. Er hatte die Nacht im Ausland ve r bracht. Und er hatte irgendwas aus der Bank geholt.«
    Der Wind regte sich in den Bäumen. März sah sich um. »Er war schließlich ein mißtrauischer alter Schweinehund. Es hätte seinem Charakter entsprochen, das wirklich wer t volle Material zurückzuhalten. Er würde es nicht riskiert haben, den Amerikanern alles auf einmal zu geben - wie hätte er sonst handeln können?«
    Ein Jet flog über sie hinweg, er sank auf den Flughafen zu, und das Heulen seiner Motoren sank mit ihm. Das nun war ein Geräusch, das 1942 noch nicht existiert hatte ...
    Plötzlich war er auf den Füßen, hob sie herab, daß sie sich ihm anschließe, und dann lief er mit langen Schritten auf das Haus zu, und sie folgte ihm - stolpernd und l a chend, und rief ihm zu, langsamer zu gehen.
    Er parkte den Volkswagen am Straßenrand in Schlac h tensee und stürmte in die Telefonzelle. Max Jäger antwo r tete nicht, weder am Werderschen Markt noch zu Hause. Das einsame Surren des unbeantworteten Telefons ließ März wünschen, er möge jemand anderen erreichen, i r gend jemanden.
    Er versuchte es mit Rudi Halders Nummer. Vielleicht konnte er um Entschuldigung bitten, irgendwie andeuten, daß es sich gelohnt habe. Niemand meldete sich. Er blickte auf den Hörer. Was war mit Paule? Selbst die Feindseli g keit des Jungen würde einen gewissen Kontakt schaffen. Aber auch im Bungalow zu Licbtenrade antwortete ni e mand. Die Stadt hatte sich vor ihm verschlossen.
    Er war schon halb aus der Zelle hinaus, als er sich, e i nem Impuls folgend, umdrehte und die Nummer seiner Wohnung wählte. Beim zweiten Klingeln meldete sich ein Mann.
    »Ja?.« Es war die Gestapo: die Stimme von Krebs. »März? Ich weiß, daß Sie es sind! Legen Sie nicht aufl« Er ließ den Hörer fallen, als ob der ihn gebissen hätte.
    Eine halbe Stunde später schob er sich durch die abg e nutzten Holztüren des Berliner Leichenschauhauses. Ohne seine Uniform kam er sich nackt vor. In einer Ecke weinte leise eine Frau, und eine Hilfspolizistin saß steif neben ihr, peinlich berührt von dieser Zurschaustellung von Gefühlen an amtlicher Stelle. Er zeigte demAngestellten seinen Ausweis und fragte nach Martin Luther. Der Mann sah se i ne eselsohrigen Notizen durch.
    »Männlich, Mitte 6o, identifiziert als Luther, Martin. Wurde direkt nach Mitternacht reingebracht. Eisenbahnu n fall.« »Und was

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