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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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zurückgezogen worden war. E i nen frontalen Zusammenstoß, eine Handlung im Geist von Hasso von Manteuffel selbst, wollte er verme i den.
    Es lag kein Spielzeug auf der Betonauffahrt herum, und als er klingelte, bellte kein Hund. Er fluchte schweigend. Es schien in dieser Woche sein Schicksal zu sein, vor ve r lassenen Häusern zu stehen. Er trat von der Eingangstür zurück und richtete den Blick auf die Fenster daneben. Der Netzvorhang bewegte sich. »Paule! Bist du da?«
    Eine Ecke des Vorhangs wurde plötzlich zurückgez o gen, als ob ein versteckter Würdenträger an einer Schnur gezogen hätte, um ein Porträt zu enthüllen, und da war es - das weiße Gesicht seines Sohnes starrte ihn an. »Kann ich reinkommen? Ich möchte mit dir sprechen.« Das Gesicht war ausdruckslos. Der Vorhang fiel zurück.
    Ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? März war nicht sicher. Er winkte zu dem leeren Fenster hinüber und wies in den Garten. »Ich warte da auf dich.«
    Er ging zurück zu dem kleinen Holztor und blickte über die Straße. Einfamilienhäuser auf beiden Seiten, Einfam i lienhäuser gegenüber. Sie erstreckten sich in alle Richtu n gen, wie die Zelte eines Armeelagers. In den meisten lebten alte Leute: Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, Überl e bende all dessen, was danach folgte - Inflation, Arbeitsl o sigkeit, die Partei, der Zweite Weltkrieg. Schon vor zehn Jahren waren sie grau und gebeugt gewesen. Sie hatten g e nug gesehen, genug erlitten. Jetzt blieben sie zu Hause und schrien Paule an, er mache zuviel Lärm, und sahen den ganzen Tag Fernsehen.
    März strich auf dem kleinen Handtuch von Rasen h e rum. Kein besonderes Leben für den Jungen. Autos fuhren vorüber. Zwei Türen weiter reparierte ein alter Mann ein Fahrrad und pumpte die Reifen mit einer quietschenden Pumpe auf. Von irgendwoher das Geräusch eines Rase n mähers ... Keine Spur von Paule. Er fragte sich, ob er sich auf Hände und Füße niederlassen und die Nachricht durch den Briefschlitz rufen müsse, als er hörte, wie die Tür sich öffnete.
    »Guter Junge. Wie geht es dir? Wo ist deine Mutter? Und wo ist Helfferich?« Er brachte es nicht über sich, »Onkel Erich« zu sagen. Paule hatte die Tür gerade weit genug geöffnet, daß er um sie herumsehen konnte. »Sie sind nicht da. Ich mach mein Bild fertig.« »Wo sind sie hin?«
    »Proben für die Parade. Ich bin verantwortlich. Haben sie gesagt.« »Natürlich bist du das. Kann ich reinkommen und mit dir reden?«
    Er hatte Widerstand erwartet. Statt dessen trat der Junge ohne ein Wort beiseite, und März überschritt zum ersten Mal seit ihrer Scheidung die Schwelle der Wohnung seiner ehemaligen Frau. Er sah sich die Möbel an - billig, aber gut aussehend; der Strauß frischer Osterblumen auf dem K a minsims; die Sauberkeit; die fleckenlosen Oberflächen. Sie hatte alles so gut gemacht, wie sie nur konnte, ohne dabei viel Geld ausgeben zu können. So hatte er es erwartet. S o gar das Bild des Führers über dem Telefon - eine Aufna h me des alten Mannes, wie er ein Kind umarmt - war g e schmackvoll: Klaras Gottheit war immer ein wohlwolle n der Gott, Neues Testament eher als Altes. Er nahm die Mütze ab. Er kam sich wie ein Einbrecher vor. Er stand auf der Nylonbrücke und begann seine Ansprache.
    »Ich muß verreisen, Paule. Vielleicht für lange Zeit. Und die Leute werden dir vielleicht manches über mich sagen. Schreckliche Dinge, die nicht wahr sind. Und ich wollte dir sagen ...« Ihm gingen die Worte aus. Was soll ich dir s a gen? Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Paule stand da mit gekreuzten Armen und sah ihn an. Er versuc h te es noch einmal. »Es ist schwer, wenn man keinen Vater hat. Mein Vater ist gestorben, als ich noch sehr klein war - viel jünger als du jetzt. Und manchmal habe ich ihn dafür gehaßt ...« Diese kalten Augen.
    »... Aber das ging vorüber, und dann - hab ich ihn ve r mißt. Und wenn ich jetzt mit ihm reden könnte - ihn fragen könnte ... Dafür würd e ich alles geben ...«
    »... daß das in allen KL anfallende Menschenschnitthaar der Verwertung zugeführt wird Menschenhaare werden zu Industriefilze n verarbeitet und zu Garn versponnen ...»
    Er war nicht sicher, wie lange er da gestanden hatte, o h ne zu reden und mit gesenktem Kopf. Schließlich sagte er: »Ich muß jetzt gehn.«
    Und da kam Paule auf ihn zu und zupfte ihn an der Hand. »Ist schon gut, Papa. Bitte geh noch nicht. Komm und sieh dir mein Bild an.«
    Das Zimmer des Jungen sah aus wie

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