Vaterland
ihn wieder, und er ging wieder zu Boden. Dies wurde mehrmals wiederholt. Schließlich setzte ihm Gl o bus, während er mit angezogenen Knien auf dem Teppich lag, den Stiefel auf die Gesichtsseite und bohrte ihm dessen Spitze ins Ohr. »Sieh mal an«, sagte er, »da bin ich doch mit meinem Stiefel in Scheiße geraten«, und von sehr weit her hörte März das Geräusch lachender Männer.
»Wo ist das Mädchen?«
»Welches Mädchen?«
Globus entfaltete vor März' Gesicht langsam seine wurstartigen Finger und ließ seine Hand dann in einem B o gen mit eine m Karateschlag gegen seine Nieren kr a chen.
Das war schlimmer als alles andere - ein blendendweißer Blitz aus Qual schoß durch ihn und schleuderte ihn wieder zu Boden, wo e r Galle erbrach. Am schlimmsten aber war es, zu wissen, daß er sich erst in den Vorhügeln eines la n gen Aufstiegs befand. Die Etappe n der Folterung erstrec k ten sich vor ihm und stiegen an wie die Noten auf einer Tonskala, vom dumpfen Baß des Hiebs in den Bauc h über das Mittelregister der Nierenhaken weiter und h ö herhinauf zu Tonhöhen weit jenseits der Hörfähigkeiten des me n schliche n Ohres, zu einer Spitze aus reinem Kristall.
»Wo ist das Mädchen?«
»Welches ... Mädchen ...?«
Sie entwaffneten ihn, sie durchsuchten ihn, dann trieben sie ihn halb, halb schleppten sie ihn aus dem Bungalow. Eine kleine Menge hatte sich auf der Straße versammelt. Klaras ältliche Nachbarn sahen zu, wie er mit gesenktem Kopf auf den Rücksitz des BMWs verfrachtet wurde. Er erhaschte einen kurzen Blick auf vier oder fünf Wagen mit Warnlichtern in der Straße, auf einen LKW, auf Man n schaften. Was hatten sie erwartet? Einen kleinen Krieg?
Immer noch keine Spur von Paule. Die Handschellen zwangen ihn, vornübergekauert dazusitzen. Zwei Gest a po-Männer quetschten sich zusätzlich auf den Hintersitz, einer auf jeder Seite. Als der Wagen anfuhr, konnte er s e hen, wie einige der alten Leute bereits wieder in ihre Häuser zurüc k schlurften, zurück zum beruhigenden Schein ihrer Fernse h apparate.
Man fuhr ihn durch den Feiertagsverkehr, die Saarlan d straße hinauf und dann in die Prinz-Albrecht-Straße. Fün f zig Meter hinter de m Haupteingang schwang die Kolonne nach rechts ab durch ein hohes Gefängnistor in einen Zi e gelmauernhof an der Rückseite de s Gebäudes.
Er wurde aus dem Wagen gezerrt, und durch einen nie d rigen Eingang steile Betonstufen hinab. Dann schleiften seine Absätze übe r den Boden eines gewölbten Durc h gangs. Eine Tür, eine Zelle, und Stille.
Sie ließen ihn allein, um seiner Phantasie zu ermögl i chen, sich an die Arbeit zu machen - das Standardverfa h ren. Sehr gut. Er kroch i n eine Ecke und lehnte den Kopf gegen die feuchten Zi e gel. Jede verstreichende Minute war eine weitere Reisem i nute für sie. E r dachte an Paule, an all die Lügen, und ballte die Fäuste.
Die Zelle wurde von einer schwachen Birne über der Tür erleuchtet, die in ihrem eigenen rostigen Metallkäfig gefangen war.
Er blickte nach seinem Handgelenk, ein sinnloser Re f lex, denn sie hatten ihm seine Uhr weggenommen. Sicher war sie jetzt nicht meh r weit von Nürnberg entfernt. Er ve r suchte, seinen Geist mit Bildern der gotischen Türme zu füllen - Sankt Lorenz, Sankt Sebaldus,
Sankt Jakob ...
Jedes Glied - jeder Teil von ihm, dem er einen Namen geben konnte - schmerzte, und doch konnten sie ihn kaum länger als fünf Minute n bearbeitet haben, und noch immer hatten sie es g e schafft, in seinem Gesicht keine Spuren zu hinterlassen. Er war wahrlich in die Händ e von Experten gefallen. Fast hätte er gelacht, aber da das seine Rippen schmerzte, ließ er es sein.
Er wurde durch den Durchgang in einen Verhörraum g e führt:
weißgekalkte Wände, ein schwerer Eichentisch mit e i nem Stuhl an jedem Ende, ein Eisenofen. Globus war ve r schwunden, Krebs wa r an der Reihe. Die Handschellen wurden abgenommen. Wieder Standardverfahren - erst der harte Bulle, dann der sanfte. Kreb s versuchte sogar einen Witz: »Normalerweise hätten wir auch Ihren Sohn verha f tet und ihm ebenfalls gedroht, um Sie zu r Zusammenarbeit zu ermutigen. Aber in Ihrem Fall wissen wir, daß ein so l ches Verfahren kontraproduktiv wäre.« Der Humor de s Geheimpolizisten! Er lehnte sich auf seinem Stuhl z u rück, lächelte und spitzte seinen Bleistift an. »Immerhin. Ein bemerkenswerte r Junge.«
»Bemerkenswert, - Sie sagen es.« Irgendwann hatte sich März, während man ihn verprügelte, auf die
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