Vaterland
Ermordung einer deu t schen Siedlerfamili e organisiert hatten. Dann eine Au f nahme des neuesten Atom - U-Bootes des Reiches, der Großadmiral Dönitz, in seiner neuen Basis Trondheim.
Weltnachrichten. In London war bekanntgegeben wo r den, daß König Edward und Königin Wallis im Juli dem Reich einen Staatsbesuch abstatten würden, »um die tiefen Bande des Respekts und der Zuneigung zwischen den Vö l kern Großbritanniens und des Deutschen Reiches we i ter zu verstärken. In Washington nimmt man an, daß der jüngste Sieg Präsident Kennedys bei den US-Vorwahlen seine Chancen gestärkt hat, die Wiederwahl zu gewinnen ...«
Die Zeitung glitt März aus den Fingern zu Boden. Eine halbe Stunde später läutete das Telefon.
»Tut mir so leid, Sie zu wecken.« Koth war sarkastisch. »Aber ich dachte, daß dies Vorrang hat. Soll ich morgen noch mal anrufen?« »Nein, nein« März war hellwach.
»Sie werden das mögen. Das ist wunderbar.« Zum er s ten Mal in seinem Leben hörte März Koth kichern. »Al s dann, Sie spielen doch keine Spielchen mit mir? Das ist doch kein kleiner Witz, den Sie und Jäger miteinander au s geknobelt haben?« »Wer ist es?«
»Zuerst den Hintergrund.« Koth amüsierte sich viel zu sehr, als daß er sich hetzen ließ. »Wir mußten weit zurückg e hen, um die Entsprechung zu finden. Sehr weit zurück. Aber wir haben sie gefunden. Perfekt. Kein Zweifel. Über Ihren Mann gibt es tatsächlich eine Akte. Er ist ein einziges Mal in seinem Leben verhaftet worden. Von unseren Koll e gen in München vor vierzig Jahren. Um genau zu sein, am 9. N o vember 1923.« Schweigen. Fünf, sechs, sieben Seku n den verstrichen. »Aha! Ich merke, daß selbst Sie die Bede u tung dieses Datums erkennen« »Ein alter Kämpfer.« März griff neben den Sessel nach seinen Zigaretten. »Sein N a me?«
»In der Tat. Ein alter Parteigenosse. Zusammen mit dem Führer nach dem Putsch im Bürgerbräukeller verhaftet. Sie haben einen der ruhmreichen Pioniere der nationalsoziali s tischen Revolution aus dem See gefischt« Koth lachte wi e der. »Ein klügerer Mann hätte ihn da gelassen, wo er war.« »Wie beißt er?«
Nachdem Koth aufgelegt hatte, marschierte März fünf Minuten lang durch die Wohnung und rauchte wütend. Dann machte er dre i Anrufe. Der erste galt Max Jäger. Der zweite dem B e amten vom Dienst am Werderschen Markt. Der dritte einer Berliner Nummer. Di e Stimme eines Ma n nes, vom Schlaf verquollen, antwo r tete, als März gerade auflegen wollte.
»Rudi? Hier Xaver März.«
»Xavi? Bist du verrückt? Es ist Mitternacht.«
»Noch nicht ganz.« März patrouillierte über den ve r blaßten Teppich, den Apparat in der einen Hand, den Hörer unter das Kin n geklemmt. »Ich brauch deine Hilfe.«
»Um Gottes willen!«
»Was kannst du mir über einen Mann namens Josef Bühler sagen?«
In jener Nacht hatte März einen Traum. Er stand wieder am Seeufer im Regen, und da lag die Leiche, das Gesicht im Schlamm. Er zog an ihrer Schulter - zog heftig -, aber konnte sie nicht bewegen.
Die Leiche war grauweißes Blei. Als er sich aber u m drehte, um zu gehen, ergriff sie sein Bein und begann, ihn in den See zu zerren. Er wühlte in der Erde und versuchte, seine Finger in den weichen Schlamm zu graben, aber da war nichts, um sich daran festzuhalten. Der Griff der Le i che war ungeheuer stark. Und als sie untergingen, verwa n delte sich ihr Gesicht in das von Paule, verzerrt vor Wut, grotesk in seiner Scham, und es schrie: »Ich hasse dich ... ich hasse dich ... ich hasse dich!«
TEIL II
MITTWOCH, 15. APRIL 1964
Entspannung, die
(a) entspannen, lockern,
nachlassen (von etwas, das straff ist) ;
lockern (der Mu s keln).
(b) Entspannung, auch Detente
(einer politische n Situat i on).
EINS
Der Regen des Vortages war eine schlechte Erinnerung, aus den Straßen schon halb verschwunden. Die Sonne - die wunderbare, unparteiische Sonne - prallte gegen die Fen s ter von Geschäften und Wohnungen und glitzerte darin.
Im Badezimmer klirrten und ächzten die verrosteten Le i tungen, die Dusche gab einen Faden kaltes Wasser her. März rasierte sich mit seines Vaters altem Rasiermesser zum Gurgelschlitzen. Durch das offene Badezimmerfen s ter konnte er die Geräusche der erwachenden Stadt hören: das Quietschen und Rattern der ersten Straßenbahn; das ferne Summen des Verkehrs in der Tauentzienstraße; die Schritte der Frühaufsteher, die zur großen U-Bahn-Station am Wi t tenbergplatz eilten; das Rasseln der
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