Vaterland
Gitter, die in der geg e nüberliegenden Bäckerei hochgezogen wurden. Es war noch nicht 7, und Berlin war lebendig von Möglic h keiten, die der Tag noch dämpfen würde.
Seine Uniform lag im Schlafzimmer aus: der Panzer der Autorität.
Braunes Hemd mit schwarzen Lederknöpfen. Schwarze Krawatte. Schwarze Reithosen. Schwarze Reitstiefel (der satte Geruch polierten Leders).
Schwarze Jacke: vier Silberknöpfe; drei parallele Silbe r streifen auf den Schulterstücken; auf dem linken Ärmel eine rot-weiß-schwarze Hakenkreuzarmbinde; auf dem rechten eine Raute mit dem gotischen Buchstaben K für Krimina l polizei. Schwarzes Pistolenkoppel. Schwarze Mütze mit silbernem Totenkopf und dem Parteiadler. Schwarze Lede r handschuhe. März starrte sich im Spiegel an, und ein Stur m bannführer der Waffen-SS starrte zurück. Er nahm seine Dienstpistole, eine 9-mm-Luger, vom Toilettentisch, übe r prüfte sie und schob sie in den Halfter. Dann trat er in den Morgen hinaus. »Bist du sicher, daß dir das reicht?«
Rudolf Halder grinste über März' Sarkasmus und lud sein Tablett ab: Käse, Schinken, Salami, drei hartgekochte Eier, ein Berg Schwarzbrot, Milch, eine Tasse dampfenden Kaffees. Er baute die Teller in einer ordentlichen Reihe auf dem weißen Leinentischtuch auf.
»Ich hab gehört, daß das Frühstück im Reichssiche r heitshauptamt üblicherweise nicht so üppig ist.«
Sie saßen im Speiseraum des Prinz-Friedrich-Karl-Hotels in der Dorotheenstraße, auf halbem Wege zwischen dem Kripo-Hauptquartier und Halders Büro im Reich s archiv gelegen. März kam rege l mäßig. Das Friedrich Karl war eine billige Absteige für Touristen und Handelsvertr e ter, aber es servierte ein gutes Frühstück.
Von einem Fahnenmast über dem Eingang hing schlaff eine Europafahne herab - die zwölf goldenen Sterne der Nationen der Europäischen Gemeinschaft auf dunke l blauem Grund. März vermutete, daß der Geschäftsführer, ein Herr Brecker, sie aus zweiter Hand gekauft und aufg e hängt hatte, um so Ausländer anzulocken.
Offenbar hatte es nicht gewirkt. Ein Blick über die sch ä bige Kundschaft des Restaurants und die gelangweilte B e dienung ließ nichts erkennen, das auf Überwachung hing e deutet hätte.
Wie üblich machten die Leute um März' Uniform einen weiten Bogen. Alle paar Minuten bebten die Wände, wenn ein Zug in den Bahnhof Friedrichstraße einlief.
»Nimmst du nichts mehr?« fragte Halder. »Kaffee?« Er schüttelte den Kopf. »Schwarzer Kaffee, Zigaretten und Whisky. Als Diät: nix gut. Ich glaube, ich hab dich nicht mehr ordentlich essen gesehen, seit du und Klara euch g e trennt habt.« Er schlug ein Ei auf und begann die Schale abzupellen.
März dachte: Von uns allen hat sich Halder am wenig s ten verändert. Unter den Fettschichten und hinter den e r schlaffenden Muskeln des beginnenden mittleren Alters lauerte immer noch der Geist des schlaksigen Rekruten, der vor über zwanzig Jahren direkt von der Universität weg auf die U-174 gekommen war. Er war Funker gewesen - ein schlechter, durch die Ausbildung und zu Beginn 1942 in den Dienst gehetzt, als die Verluste am höchsten waren und Dönitz ganz Deutschland nach Ersatz abgraste. Damals wie heute trug er eine drahtgefaßte Brille und hatte dünnes rö t liches Haar, das im Nacken wie ein Entenschwanz a b stand. Während einer Fahrt, auf der sich die übrigen Männer Bä r te stehen ließen, hatte Halder rötliche Büschel auf Wangen und Kinn, wie ein Kater in der Mauser. Die Ta t sache, daß er auf einem U-Boot diente, war ein gespenst i scher Irrtum, ein Witz. Er war ungeschickt und kaum i m stande, einen Zünder einzusetzen. Die Natur hatte ihn zum Akademiker und nicht zum U-Boot-Mann bestimmt, und jede Fahrt ve r brachte er in Schweiß vor Angst und Se e krankheit.
Aber er war beliebt. U-Boot-Mannschaften sind aber g läubisch, und irgendwie war das Gerücht aufgekommen, daß Rudi Halder Glück bringe. Also ums orgten sie ihn, deckten seine Fehler und ließen ihn eine extra halbe Stunde in seiner Koje sich ächzend herumwälzen. Er wurde zu e i ner Art Maskottchen. Als der Frieden kam, nahm Halder, erstaunt überlebt zu haben, seine Studien an der Fakultät für Geschichte der Berliner Universität wieder auf.
1958 trat er einer Gruppe von Historikern bei, die im Re ichsarchiv an der amtlichen Ge schichte des Krieges a r beiteten. Für ihn hatte sich der Kreis geschlossen, seit er seine Tage zusammengekauert in einem unterirdischen G e laß in
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