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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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SS-Sturmbannführer Dr. Kurt Eisler ergab als vermutliche Todesursache Ertrinken, als vermutliche Todeszeit die Nacht des 13. April.
    5. Das Opfer lebte auf Schwanenwerder, nahe der Ste l le, wo die Leiche entdeckt wurde.
    6. Es gab keine offensichtlichen verdächtigen Umstä n de.
    7. Eine Autopsie wird nach der förmlichen Identifizi e rung durch nächste Anverwandte durchgeführt.
    März zog den Bericht aus der Schreibmaschine, unte r zeichnete ihn und gab ihn in der Eingangshalle einem B o ten, als er hinausging.
    Die alte Frau saß auf einer harten Holzbank aufrecht im Leichenschauhaus in der Seydelstraße. Sie trug ein bra u nes Tweedkostüm, einen braunen Hut mit einer herabhänge n den Feder, kräftige braune Schuhe und graue Wollstrüm p fe. Sie starrte vor sich hin, umkrampfte die Han d tasche auf dem Schoß und achtete nicht auf das Pflegepe r sonal, die Polizisten, die trauernden Verwandten, die durch den Ko r ridor kamen. Max Jäger saß neben ihr, die Arme g e kreuzt, die Beine ausgestreckt, und sah gelangweilt drein. Als März eintraf, nahm er ihn beiseite. »Sie ist seit zehn Min u ten hier. Hat kaum gesprochen.« »Schock?« »Nehm ich an.« »Bringen wir's hinter uns.«
    Die alte Frau sah nicht auf, als sich März neben sie auf die Bank setzte. Er sagte sanft: »Frau Trinkl, mein Name ist März. Ich bin Fahnder der Berliner Kriminalpolizei. Wir müssen einen Bericht über den Tod Ihres Bruders machen, und dazu ist es notwendig, daß Sie die Leiche identifizi e ren. Danach werden wir Sie nach Hause bringen. Haben Sie verstanden?« Frau Trinkl wandte sich zu ihm um. Sie hatte ein dünnes Ge sicht, eine dünne Nase (die Nase ihres Bruders), dünne Lippen. Eine Kameenbrosche zog eine gekräuselte Purpurbluse um ihren knochigen Hals zusa m men. »Haben Sie verstanden?« wiederholte er.
    Sie blickte ihn mit klaren grauen Augen an, die nicht von Tränen gerötet waren. Ihre Stimme war knapp und tr o cken: »Vollkommen.« Sie gingen durch den Korridor in einen kleinen fensterlosen Empfangsraum. Der Boden b e stand aus Holzblöcken. Die Wände waren limonengrün. Jemand hatte in dem Bemühen, den Raum aufzuhellen, Fremdenverkehrsplakate der Deutschen Reichsbahn ange b racht: eine Nachtansicht der Großen Halle, das Führerm u seum in Linz, der Starnberger See. Das Plakat, das an der vierten Wand gehangen hatte, war heruntergerissen wo r den.und hatte Löcher im Verputz hinterlassen, wie Kuge l einschüsse.
    Ein Geräusch draußen kündigte die Ankunft der Leiche an. Sie wurde auf einem metallenen Schiebewagen herei n gerollt, von einem Laken verhüllt. Zwei Aufseher in we i ßen Jacken stellten ihn in der Mitte des Bodens ab - ein Speisebüffet, das seine Gäste erwartete. Jäger schloß die Tür.
    »Sind Sie bereit?« fragte März. Sie nickte. Er schlug das Laken zurück, und Frau Trinkl stellte sich neben ihn. Als sie sich nach vorne lehnte, schlug ihm ein starker Duft - nach Pfefferminzpastillen und Parfum und Kampfer, der Geruch einer alten Frau - ins Gesicht. Sie starrte lange Zeit in das tote Gesicht, öffnete dann den Mund, als ob sie e t was sagen wollte, aber es kam nur ein Seufzer. Ihre A u gen schlossen sich. März fing sie auf, als sie fiel.
    »Er ist es«, sagte sie. »Ich habe ihn zwar seit zehn Ja h ren nicht mehr gesehen, und er ist auch dicker geworden, und ich habe ihn vorher nie ohne seine Brille gesehen, nicht mehr, seit er ein Kind war. Aber er ist es.« Sie saß auf einem Stuhl unter dem Plakat von Linz und lehnte sich mit gesenktem Kopf nach vorne. Ihr Hut war heruntergefallen. Dünne weiße Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Die Le i che war weggerollt worden.
    Die Tür öffnete sich, und Jäger kam mit einem Glas Wasser zurück, das er ihr in die magere Hand drückte. »Hier bitte.« Sie hielt es einen Augenblick lang fest, dann hob sie es an die Lippen und nahm einen Schluck. »Ich werde nie ohnmächtig«, sagte sie. »Niemals.« Hinter ihr zog J äger eine Grimasse.
    »Natürlich nicht«, sagte März. »Ich muß Ihnen einige Fragen stellen. Geht es Ihnen gut genug? Unterbrechen Sie mich, wenn ich Sie überanstrenge.« Er nahm sein Noti z buch heraus. »Warum haben Sie Ihren Bruder seit zehn Jahren nicht mehr gesehen?« »Nachdem Edith gestorben war - seine Frau -, hatten wir nichts mehr gemein. Wir h a ben uns nie sehr nahegestanden. Auch nicht als Kinder. Ich war acht Jahre älter als er.« »Seine Frau ist schon vor ein i ger Zeit gestorben?«
    Sie dachte einen Augenblick lang

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