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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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stiegen die Treppen hinauf.
    Sie fuhr fort: »Ich hatte gerade den zweiten Stock e r reicht, als mir zwei Männer rennend entgegen kamen.« »Bitte beschreiben Sie sie.«
    »Es ging alles zu schnell, als daß ich sie hätte genau ans e hen können. Beide in den Dreißigern. Der eine trug einen braunen Anzug, der andere einen grünen Anorak. Kurzes Haar. Das ist alles.« »Was haben die getan, als sie Sie s a hen?«
    »Sie rannten einfach an mir vorbei. Der im Anorak sagte etwas zu dem anderen, aber ich konnte nicht verstehen, was. Aus dem Aufzugschacht kamen Bohrgeräusche. D a nach ging ich rauf zu Stuckarts Wohnung und läutete. Da kam keine Antwort.« »Und was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich bin runter zum Portier gegangen und habe ihn g e beten, Stuckarts Tür zu öffnen, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.« »Warum?«
    Sie zögerte. »Da war etwas an diesen beiden Männern. Ich hatte so ein Gefühl. Wissen Sie: das Gefühl, das man hat, wenn man an eine Tür klopft und niemand antwortet, aber man ist ganz sicher, daß jemand da ist.« »Und haben Sie den Portier überredet, die Tür zu öffnen?«
    »Ich hab ihm gesagt, ich würde die Polizei rufen, wenn er es nicht macht. Ich habe gesagt, er würde es den Behö r den gegenüber zu verantworten haben, wenn Doktor St u ckart irgendwas passiert wäre.«
    Gerissene Psychologie, dachte März. Nachdem man i h nen dreißig Jahre lang gesagt hatte, was sie zu tun hatten, war der durchschnittliche Deutsche sorgsam darauf b e dacht, für nichts die endgültige Verantwortung zu übe r nehmen, nicht einmal dafür, eine Tür nicht geöffnet zu h a ben. »Und dann haben Sie die Leichen gefunden?« Sie nickte. »Der Portier sah sie als erster. Er schrie, und ich bin hingerannt.«
    »Haben Sie die beiden Männer erwähnt, die Sie auf der Treppe sehen haben? Was hat der Portier gesagt?« »Er war zuerst viel zu sehr mit Kotzen beschäftigt, als daß er hätte reden können. Danach hat er darauf beharrt, er habe niea n den gesehen. Er sagte, ich müsse mir das eingebildet h a ben.« »Glauben Sie, daß er gelogen hat?«
    Sie dachte darüber nach. »Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, er sie wirklich nicht gesehen. Andererseits begreife ich nicht, wie er sie verpaßt haben kann.«
    Sie standen immer noch im zweiten Stock an der Stelle, an der wie sie sagte - die beiden Männer an ihr vorbeig e kommen waren. März ging die Treppe wieder hinab. Sie wartete einen Augenblick, dann folgte sie ihm. Am Fuß der Treppe führte eine Tür in den Korridor des ersten Stoc k werks.
    Er sagte, halb zu sich selbst: »Sie könnten sich hier ve r steckt haben, nehme ich an. Wo sonst?«
    Sie gingen weiter hinab bis ins Erdgeschoß. Hier gab es zwei weitere Türen. Die eine führte in die Eingangshalle. März versuchte die andere. Sie war nicht verschlossen. »Oder sie hätten hier unten rausgehen können.«
    Nackte Betonstufen, neonbeleuchtet, führten hinab in den Keller. Unten gab es einen langen Korridor, von dem Türen abgingen. März öffnete sie eine nach der anderen. Ein Waschraum. Ein Vorratsraum. Ein Generatorraum. Ein Luftschutzraum. Nach dem Reichszivilverteidigungsgesetz von 1948 mußte jeder Neubau mit einem Luftschutzraum ausgestattet werden; diejenigen unter Büros und Wo h nungsblocks mußten außerdem eigene Generatoren und Luftfiltersysteme haben. Dieser hier war besonders gut eingerichtet: Etagenbetten, ein Vorratsschrank, eine abg e trennte Ecke mit Toiletten. März trug einen Metallstuhl hinüber zur Belüftungsklappe, die sich in der Mauer zweieinhalb Meter über dem Boden befand. Er faßte nach dem Metallgitter. Es ging mü helos ab. Alle Schrauben waren entfernt worden.
    »Das Bauministerium hat eine Öffnung mit einem ha l ben Mea Durchmesser vorgeschrieben«, sagte März. Er schnallte sein Koppel ab und hängte es mit der Pistole über die Stuhllehne. »Wenn sie sich nur der Schwierigkeiten bewußt wären, die uns das macht.«
    Er zog die Jacke aus und gab sie der Frau, dann bestieg er den Stuhl. Als er in den Schacht hineingriff, fand er e t was Solides, sich daran festzuhalten, und zog sich hinein. Filter und Ventilator waren ebenfalls entfernt worden. I n dem er seine Schultern gegen den Metallrahmen preßte, konnte er sich langsam vorwärtsbewegen.
    Es war vollkommen dunkel. Er würgte vor Staub. Seine Hände, die er vor sich hochstreckte, berührten Metall, und er drückte. Das Außengitter gab nach und stürzte zu Boden. Die Nachtluft strömte herein. Für einen

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