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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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sie hinzu: »Ich schwöre.«
    Sie suchten schweigend zehn Minuten, verschoben M ö bel, hoben Teppiche hoch, sahen hinter Bilder. Plötzlich sagte sie: »Dieser Spiegel ist locker.«
    Es war ein schlanker, antik aussehender Spiegel, vie l leicht dreißig Zentimeter im Quadrat, über dem Tisch, auf dem sie die Briefe geöffnet hatte. März faßte den Messin g rahmen. Er bewegte sich etwas, wollte sich aber nicht von der Wand lösen. »Versuchen Sie es damit.« Sie gab ihm das Messer.
    Sie hatte recht. Hinter dem Rand des Rahmens war, etwa zwei Drittel von oben herab, ein kleiner Riegel. März drückte die Messerspitze dagegen und spürte, wie etwas nachgab. Der Spiegel hing an einem Scharnier. Er schwang auf und enthüllte den Safe.
    Er untersuchte ihn und fluchte. Der Schlüssel genügte nicht. Da war auch noch ein Zahlenschloß.
    »Zuviel für Sie?« fragte sie.
    »- >Im Fall von Schwierigkeiten, -«, zitierte er, »- >wird der einfallsreiche Beamte immer eine Möglichkeit fi n den,.« Er nahm de n Telefonhörer ab.

ACHT
    Präsident Kennedy ließ über eine Entfernung von 5ooo K i lometern sein berühmtes Lächeln blitzen. Er stand hinter einem Knäuel vo n Mikrofonen und sprach zu einer Menge in einem Foo t ball-Stadium. Rot-weiß-blaue Banner wehten hinter ihm - »Wählt Kenned y wieder!« »Vier mehr, 64!« Er rief etwas, das März nicht verstand, und die Menge j u belte zurück.
    »Wovon redet er?«
    Das Fernsehgerät warf einen blauen Schimmer in die Dunkelheit von Stuckarts Wohnung. Die Frau übersetzte: »- >Die Deutsche n haben ihr System, und wir haben uns e res. Aber wir alle sind die Bürger eines Planeten. Und s o lange sich unsere beiden Nationen dara n erinnern, bin ich zutiefst davon überzeugt: können wir Frieden haben: Ei n satz für lauten Beifall der dummen Menge.«
    Sie hatte ihre Schuhe fortgeschleudert und lag bäuc h lings der Länge nach vor dem Gerät.
    »Aha. Jetzt kommt der ernsthafte Teil.. Sie wartete, bis er zu sprechen aufhörte, und übersetzte dann wieder: »Er sagt, er wolle währen d seines Besuchs im Herbst die Frage der Menschenrechte anschneiden.« Sie lachte und schütte l te den Kopf. »Gott, dieser Kennedy is t so voller Scheiße. Das einzige, was er wirklich will, ist, im November mehr Stimmen kriegen..
    »>Menschenrechte    »Die Tausenden von Andersdenkenden, die ihr in Lager gesperrt habt. Die Millionen Juden, die im Krieg ve r schwunden sind. Di e Folter. Das Morden. Tut mir leid, d a von zu sprechen, aber wir haben die spießige Vorste l lung, daß menschliche Wesen Rechte haben.
    Wo haben Sie denn die letzten zwanzig Jahre ve r bracht?«
    Die Verachtung in ihrer Stimme versetzte ihm einen Schock. Er hatte noch nie wirklich mit einem Amerikaner gesprochen, war nur de n gelegentlichen Touristen begegnet - und die wenigen wurden sorgsam durch die Hauptstadt geleitet und bekamen das zu sehen, wa s das Propagand a ministerium sie sehen lassen wollte, wie Rot k reuz-Vertreter bei einer Besichtigungsfahrt der KZs. Wä h rend er ihr jetz t zuhörte, wurde ihm bewußt, daß sie ve r mutlic h mehr über die jüngste Geschichte seines Landes wußte als er. Er fühlte, daß er sich irgendwie verteidigen sollte, aber wußte nicht, wa s sagen.
    »Sie reden wie ein Politiker«, war alles, was er herau s bekam. Sie machte sich nicht einmal die Mühe zu antwo r ten.
    Er blickte wieder zu der Gestalt auf dem Bildschirm. Kennedy strahlte ein Bild von jugendlicher Kraft aus, trotz seiner Brille und de m erkahlenden Kopf.
    »Wird er gewinnen?« fragte er.
    Sie schwieg. Einen Augenblick lang dachte er, sie habe sich entschlossen, nicht mit ihm zu reden. Dann sagte sie: »Jetzt ja. Er sieht gu t aus für einen Mann von fünfundsie b zig, oder nicht?«
    »In der Tat.« März stand einen Meter vom Fenster en t fernt und rauchte eine Zigarette, wobei er abwechselnd das Fernsehgerät un d den Platz unten betrachtete. Der Verkehr war spärlich - meistens Leute, die vom Abendessen oder aus dem Kino kamen. Ein junges Paa r hielt unter der Statue von Todt Händchen. Sie konnten von der Gestapo sein; schwer zu sagen.
    Die Millionen Juden, die im Krieg verschwunden sind... Er riskierte das Kriegsgericht, einfach dadurch, daß er mit ihr sprach.
    Aber ihr Geist mußte eine Schatzkammer sein, voller kaum erwogener Themen, die für sie nichts bedeuteten, für ihn aber Gold wären.
    Wenn er nur irgendwie ihren zornigen Widerstand br e chen und sich seinen Weg um die Propaganda herum s u chen könnte

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