Vaterland
wandte sich dem Mann zu, dem sie die Haare zerzaust hatte, und murmelte etwas. März verstand es nicht. Sie lachten alle. März rührte sich nicht.
Schließlich stand ein jüngerer Mann in einem Sportj a ckett und durchgeknöpftem Hemd auf. Er zog eine Katte aus seiner Brusttasche und hielt sie ihm hin.
»Henry Nightingale. Zweiter Sekretär in der Botschaft der Vereinigten Staaten. Tut mir leid, Herr März, aber Fräulein Maguire hat alles, was sie zu sagen hatte, bereits ihren Kollegen gesagt.« März ignorierte die Karte.
Die Frau sagte: »Wenn Sie nicht gehen, warum setzen Sie sich dann nicht zu uns? Das hier ist Howard Thompson von der >New York Times :« Der ältere Mann hob sein Glas. »Das ist Bruce Fallon von der >United Press<. Peter Kent von >CBS<. Arthur Haines von >Reuters<, Henry hat sich schon vorgestellt. Mich kennen Sie allem Anschein nach. Wir trinken gerade auf die große Neuigkeit. Die Amerikaner und die SS - jetzt sind wir alle Freunde.« »Sei vorsichtig, Charlie«, sagte der junge Mann von der Bo t schaft.
»Ach, halt doch den Mund, Henry. Bei Gott, wenn di e ser Mann nicht bald abhaut, werde ich aus lauter Lang e weile mit ihm reden. Hier -« Auf dem Tisch vor ihr lag ein Stückzerknäultes Papier. Sie stieß es zu März hinüber. »Das da hab ich dafür bekommen, daß ich in diese Angel e genheit verwickelt wurde. Man hat mir mein Visum entz o gen, weil ich >mit einem deutschen Bürger ohne amtl i che Erlaubnis fraternisiert< haben soll. Ich hätte heute schon abreisen müssen, aber meine Freunde hier haben mit dem Propagandaministerium gesprochen und eine Verlä n gerung um eine Woche erlangt. Würde nicht gut ausgesehen h a ben, oder? Mich ausgerechnet am Tag der großen Neui g keit rauszuschmeißen.« März sagte: »Es ist wichtig.«
Sie starrte ihn an, ein kalter Blick. Der Mann von der Botschaft legte ihr die Hand auf den Arm. »Du mußt nicht mitgehen.« Das schien ihr den Ausschlag zu geben. »Willst du wohl den Mund halten, Henry?« Sie schüttelte ihn ab und zog den Mantel um die Schultern. »Er sieht ganz an s tändig aus. Für einen Nazi. Danke für den Drink, Sie kippte den Inhalt ihres Glases herunter - dem Aussehen nach Whisky mit Wasser - und stand auf. »Gehn wir.« Der Mann namens Thompson sagte etwas auf Englisch. »Mach ich, Howard. Mach dir keine Sorgen.« Draußen sagte sie: »Wohin gehen wir?« »Zu meinem Wagen.« »Und dann?«
»In Dr. Stuckarts Wohnung.« »Wie schön.«
Sie war klein. Obwohl sie auf ihren hohen Absätzen ei n herklapperte, reichte sie März nicht mal bis an die Schulter. Er öffnete die Tür des Volkswagens für sie, und als sie sich vorbeugte, um einzusteigen, roch er den Whi s ky in ihrem Atem, und auch Zigaretten – französische, ke i ne deutschen -, und Parfüm: ein sehr kostspieliges, dachte er. Der 1300-Kubik-Motor des Volksw a gens ratterte hinter ihnen.
März fuhr aufmerksam: nach Westen durch die Bülo w straße, um den Berlin-Gotenland-Bahnhof herum, nach Norden durch die Siegesallee. Die erbeutete Artillerie aus dem BarbarossaFeldzug säumte die Prachtstraße, die Rohre auf die Sterne gerichtet. Normalerweise war dieser Teil der Hauptstadt abends ruhig, da die Berliner die lä r migeren Cafes hinter dem Ku-Damm vorzogen, oder die überfüllten Straßen in Kreuzberg. Aber an diesem Abend waren hier überall Menschen - sie standen in Gruppen zusammen, b e wunderten die Geschütze und die von Flutlicht angestrah l ten Gebäude, bummelten und sahen sich die Scha u fenster an. »Was für ein Mensch wird wohl abends ausg e hen und sich Geschütze ansehen?« Sie schüttelte verwu n dert den Kopf. »Touristen«, sagte März. »Am 20. werden mehr als 3 Millionen hier sein.«
Es war riskant, die Amerikanerin mit in Stuckarts Wo h nung zu nehmen, vor allem jetzt, da Globus wußte, daß jemand von der Kripo auf der Sucht nach Luther war. Aber er mußte die Wohnung sehen und die Geschichte der Frau hören. Er hatte keinen Plan, keine wirkliche Vorstellung von dem, was er finden mochte. Er erinnerte sich an die Worte des Führers - »Ich gehe den Weg, den die Vors e hung mir diktiert, mit der Sicherheit eines Schlafwandlers« - und lächelte.
Vor ihnen waren Suchscheinwerfer auf den Adler der Großen Halle gerichtet. Er schien in der Luft zu stehen, ein goldener Raubvogel, der über der Hauptstadt lauerte. Sie bemerkte sein Grinsen. »Was ist so komisch?« »Nichts.« Er wandte sich beim Europaparlament nach rechts.
Die Fahnen der 12
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