Vaterland
Augenblick em p fand er einen fast überwältigenden Drang, in sie hinauszu k riechen, aber statt dessen schlängelte er sich rückwärts und ließ sich wieder in den Schutzkeller hinab. Er landete, staubig und fettverschmiert. Die Frau richtete die Pistole auf ihn.
»Peng, peng«, sagte sie. »Sie sind tot.« Sie lächelte über seinen Schrecken. »Amerikanischer Scherz.« »Sehr wi t zig.« Er nahm die Luger und steckte sie wieder ins Halfter zurück.
»Okay«, sagte sie, »hier ist ein besserer. Zwei Mörder werden von einem Zeugen gesehen, wie sie ein Gebäude verlassen, und die Polizei braucht vier Tage, um herausz u finden, wie. Ich würde sagen, das ist komisch, Sie nicht?«
»Das hängt von den Umständen ab.« Er klopfte den Staub von seinem Hemd. »Wenn die Polizei neben der Le i che eines der Opfer einen Abschiedsbrief in seiner e i genen Handschrift findet, die besagt, daß es Selbstmord war, ve r stehe ich, warum sie sich keine Mühe gegeben hat, weiter zu suchen.« »Aber dann kommen Sie daher und s u chen weiter.« »Ich bin von der neugierigen Sorte.«
»Na klar« Sie lächelte wieder. »Also ist Stuckart e r schossen worden und die Mörder haben versucht, es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen?« Er zögerte. »Das ist eine Möglichkeit.«
Er bedauerte die Worte in dem Augenblick, in dem er sie aussprach. Sie hatte ihn dazu verleitet, mehr von St u ckarts Tod zu enthüllen, als klug war. Jetzt spielten schw a che spöttische Lichter in ihren Augen. Er verfluchte sich, weil er sie unterschätzt hatte. Sie war von der Geri s senheit eines Berufsverbrechers. Er erwog, sie zur Bar zurückzu b ringen und allein weiterzumachen, verwarf den Gedanken dann aber. Er taugte nichts. Um zu wissen, was sich abg e spielt hatte, mußte er es mit ihren Augen sehen. Er knöpfte seine Uniformjacke zu. »Jetzt müssen wir die Wohnung des Parteigenossen Stuckart inspizieren.« Das wischte ihr zu seinem Vergnügen das Lächeln aus dem G e sicht. Aber sie weigerte sich nicht, mit ihm zu gehen. Sie stiegen die Treppe hinauf, und wieder fiel ihm auf, daß sie fast ebenso begierig darauf war, Stuckarts Wohnung zu sehen, wie er.
Sie nahmen den Aufzug in den vierten Stock. Als sie h i naustraten, hörte er, wie im Flur zu ihrer Linken eine Tür geöffnet wurde. Er packte die Amerikanerin beim Arm und steuerte sie um die Ecke außer Sicht. Als er zurückblickte, konnte er eine Frau mittleren Alters im Pelzmantel sehen, die auf den Aufzug zuging. Sie trug einen kleinen Hund. »Sie tun mir weh.« »Tut mir leid.«
Er verbarg sich in den Schatten. Die Frau redete ruhig mit ihrem Hund und verschwand im Aufzug. März fragte sich, ob Globus die Akte von Fiebes schon geholt, und ob er schon entdeckt hatte, daß die Schlüssel fehlten. Sie wü r den sich beeilen müssen. Die Tür zu Stuckarts Wo h nung war an jenem Tag nahe de m Türgriff mit rotem Wachs ve r siegelt worden. Ein Zettel unterrichtete Neugi e rige, daß diese Räume nunmehr unter der Jurisdiktion der Gestapo standen und daß der Eintritt verboten war.
März zog sich ein Paar dünner Handschuhe an und er b rach das Siegel. Der Schlüssel drehte sich leicht im Schloß. Er sagte: »Fassen Sie nichts an.«
Mehr Luxus, der dem Stil des Gebäudes entsprach: kunstvolle vergoldete Spiegel, antike Tische und Stühle mit kannelierten Beinen und elfenbeinfarbener Damastpolst e rung, ein königsblauer Teppich mit persischen Brücken. Kriegsbeute, die Früchte des Reiches. »Jetzt erzählen Sie mir noch mal, was sich abgespielt hat«
»Der Portier öffnete die Tür. Wir kamen in den Flur.« Ihre Stimme war höher geworden. Sie zitterte. »Er rief, und da niemand antwortete, kamen wir beide rein. Ich habe z u erst die Tür da geöffnet.«
Es war die Art von Badezimmer, die März bisher nur in Hochglanzmagazinen gesehen hatte. Weißer Marmor und rauchige Spiegel, eine versenkte Badewanne, Doppe l handwaschbecken mit goldenen Hähnen ... Das hier, dachte er, war die Hand von Maria Dymarski, die bei einem Ku-Damm-Friseur die deutsche >Vogue< durchblätterte, wä h rend ihre polnischen Wurzeln arisch weiß gebleicht wu r den. »Dann bin ich ins Wohnzimmer geko m men ...«
März knipste das Licht an. Eine Wand bestand aus gr o ßen Fenstern, die auf den Platz hinausgingen. An den and e ren drei hingen große Spiegel. Wohin immer er sich drehte, er konnte Spiegelbilder von sich und dem Mädchen sehen: die schwarze Uniform und der schimmernde blaue Mantel, so fehl am Platz
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