Vaterland
sagte Nebe. »Höchst interessant. Und woher ist das alles?«
Krebs begann: »Der Veit Stoß wurde im November 1939 aus der Kirche Unserer Lieben Frau in Krakau en t fernt ... .« Globus unterbrach: »Es kommt aus dem Gen e ralgouvernement. Wir nehmen an, hauptsächlich aus Wa r schau. Bühler hat es entweder als verloren oder als zerstört gemeldet. Gott alleinweiß, womit das korrupte Schwein sonst noch durchgekommen ist. Stellen Sie sich nur vor, was er verschachert haben muß, um sich dieses Haus zu kaufen!« Nebe streckte die Hand aus und berührte eine der Leinwände:
das Martyrium des heiligen Sebastian, der an eine dor i sche Säule gebunden war und dem Pfeile aus seiner gold e nen Haut ragten. Der Firnis war gesprungen, wie das Bett eines ausgetrockneten Flusses, aber die Farben darunter - rot, weiß, purpurn, blau - waren immer noch leuchtend. Das Gemälde gab einen leichten Geruch nach Staub und Weihrauch ab - den Duft des Vorkriegspolens, einer von der Landkarte verschwundenen Nation. An den Rändern einiger der Holztafeln hingen, wie März bemerkte, noch pulvrige Reste von Mauerwerk - Spuren der Kloster - und Schloßmauern, von denen sie herabgerissen worden wa r en.
Nebe war von dem Heiligen hingerissen. »Etwas in se i nem Ausdruck erinnert mich an Sie, März.« Er zog die Konturen des Körpers mit seinen Fingerspitzen nach und lachte keuchend. »«Der bereitwillige Märtyrer,. Was me i nen Sie, Globus?« Globus grinste. »Ich glaube nicht an Heilige. Oder Märtyrer.« Er funkelte März an. »Seltsam«, murmelte Nebe, »sich ausgerechnet Bühler vorzustellen mit all diesen . . .« »Sie haben ihn gekannt?« Die Frage sprudelte aus März heraus.
»Flüchtig, kurz vor dem Krieg. Ein fanatischer Nationa l sozialist und ein hingebungsvoller Rechtsanwalt. Eine e i genartige Mischung. Ein Fanatiker des Details. Wie unser Kollege von der Gestapo hier.« Krebs verneigte sich leicht. »Der Herr Oberstgruppenführer ist sehr freundlich.«
»Es geht um folgendes«, sagte Globus gereizt. »Wir h a ben seit einiger Zeit über den Parteigenossen Bühler B e scheid gewußt. Wußten von seinen Tätigkeiten im Gen e ralgouvernement. Wußten von seinen Verbündeten. Leider hat der krumme Hund irgendwann in der letzten Woche herausgefunden, daß wir hinter ihm her waren« »Und sich umgebracht?« fragte Nebe. »Und Stuckart?«
»Das gleiche. Stuckart war völlig degeneriert. Er hat sich nicht nur mit Schönheit auf Leinwand versorgt. Er wollte sie auch im Fleisch schmecken. Bühler hatte die Auswahl im Osten unter allem, was er wollte. Wie lauten die Zahlen, Krebs?« »1940 wurde von den polnischen M u seumsbehörden ein geheimes Verzeichnis erstellt. Das h a ben wir jetzt. Allein aus Warschau entfernte Kunstgegen s tände: 2700 Gemälde der europäischen Schule; 10 700 Gemälde polnischer Künstler; 1400 Skulpturen. Wieder Globus: »Wir graben gerade einige der Skulpturen im Ga r ten aus. Das meiste von diesem Zeugs ging dahin, wohin es bestimmt war: ins Führermuseum, ins Museum von Reichsmarschall Göring in Karinhall, in Galerien in Wien und Berlin. Aber es gibt einen großen Unterschied zw i schen den polnischen Listen mit dem, was entfernt worden ist, und unseren Listen dessen, was wir bekommen haben. Das hat sich so abgespielt. Als Staatssekretär hatte Bühler Zugang zu allem. Er ließ das Zeugs unter Bewachung zu Stuckart vom Innenministerium bringen. Sah alles ganz legal aus. Stuckart sorgte dafür, daß es eingelagert - oder aus dem Reich geschmuggelt wurde, im Tausch gegen Bargeld, Juwelen, Gold, alles, was man tragen und nicht nachweisen kann.«
März konnte sehen, daß Nebe gegen seinen Willen b e eindruckt war. Seine kleinen Augen tranken Kunst. »War sonst noch jemand hohen Ranges in die Sache verwickelt?«
»Kennen Sie den früheren Unterstaatssekretär im A u ßenministerium Martin Luther?« »Natürlich.«
»Das ist der Mann, den wir suchen.« »Suchen? Wird er vermißt?«
»Er ist vor drei Tagen von einer Geschäftsreise nicht z u rückgekommen.« »Ich nehme an, Sie sind sicher, daß L u ther in diese Angelegenheit verwickelt ist?« »Während des Krieges war Luther der Leiter der deutschen Abteilung im Außenministerium.«
»Ich erinnere mich. Er war verantwortlich für die Ve r bindungen des Außenministeriums mit der SS und mit uns von der Kripo.« Nebe wandte sich an Krebs. »Ein weiterer fanatischer Nationalsozialist. Sie würden seinen - äh - Enthusiasmus geschätzt haben. Aber ein
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