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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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rannte auf die Havel zu und umklammerte eine Spielzeugjacht. Normal, normal ...
    März, der brave Bürger, ließ die Milchflasche in einen Abfalleimer fallen und machte sich dann auf den Weg, die Vorstadtstraße hinab. »Sie haben keinen Zeugen. Keinen mehr...«
    Er empfand eine große Wut auf Globus, um so größer, da sie durch Schuldgefühle genährt wurde. Die Gestapo mußte Josts Zeugenaussage in der Akte über Bühlers Tod gesehen haben. Sie würde das mit der SS-Akademie abg e klärt und dabei entdeckt haben, daß März gestern nachmi t tag zurückgekommen war, um ihn noch einmal zu verh ö ren. Das würde sie in der Prinz-Albrecht-Straße aufg e scheucht haben. Also war sein Besuch in der Kasern e Josts Todesurteil gewesen. Er hatte seiner Neugier nachgegeben - und so einen Mann umgebracht.
    Und jetzt ging die Amerikanerin nicht ans Telefon. Was mochten sie mit ihr machen? Ein Heeres-LKW überholte ihn, der Sog zerrte an ihm, und in seinem Geist stieg die Vision empor, wie Charlotte Maguire zerbrochen im Rin n stein lag. »Die Berliner Behörden bedauern diesen trag i schen Unfall zutiefst... Der Fahrer des betroffenen Fah r zeugs wird immer noch gesucht....«
    Er fühlte sich wie der Träger einer gefährlichen Kran k heit. Er sollte eine Tafel tragen: Halten Sie sich von diesem Mann fern, er ist ansteckend.
    Und endlos kreisten in seinem Kopf Bruchstücke von Gesprächen. Artur Nebe: »Finden Sie Luther, März. Finden Sie ihn, bevor Globus ihnfaßt....« Rudi Halder: »Ein paar Sipo-Jungs waren in der letzten Woche im Archiv und h a ben nach dir gefragt ...« Wieder Nebe: »Dann liegt hier eine Beschwerde Ihrer Ex Frau vor, sogar eine von Ihrem Sohn...«
    Eine halbe Stunde wanderte er durch die blühenden Straßen entlang an den hohen Hecken und den Spriege l zäunen der wohlhabenden Berliner Vororte. Als er Dahlem erreichte, hielt er einen Studenten an, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Beim Anblick von März' Uniform senkte der junge Mann den Kopf. Dahlem war ein Stude n tenviertel. Die männlichen Studenten wie dieser hier li e ßen ihre Haare ein paar Zentimeter über ihre Krage n wachsen; einige der weiblichen trugen Jeans - Gott a l lein wußte, wo sie die herbekamen. Die Weiße Rose, jene st u dentische Widerstandsbewegung, die während der vie r ziger Jahre kurz geblüht hatte, bis ihre Führer hingerichtet worden waren, wurde plötzlich wieder lebendig. IHR GEIST LEBT WEITER, sagten die Graffiti. Mitglieder der Weißen Rose murrten über die Einberufungsbescheide, hörten ve r botene Musik, ließen aufrührerische Zeitschriften umlaufen, wu r den von der Gestapo schikaniert. Der Student machte auf März' Frage hin eine vage Bewegung mit seinen bücherb e ladenen Armen und war froh, weitergehen zu können. L u thers Haus stand nahe beim Botanischen Ga r ten, von der Straße zurückgesetzt - ein Landhaus des 19. Jahrhunderts am Ende einer sichelförmigen Auffahrt aus weißem Kies. Zwei Männer saßen in einem ungeken n zeichneten grauen BMW, der gegenüber der Einfahrt par k te. Der Wagen und seine Farbe machten sie sofort kenntlich. Zwei weitere würden die Hinterseite überwachen und mindestens einer die anliegenden Straßen durc h kreuzen. März ging vorbei und bemerkte, wie sich einer der Gestapo-Schergen zu dem anderen herumdrehte und etwas sagte.
    Irgendwo jaulte ein Motormäher; der Geruch von frisc h geschnittenem Gras hing über der Auffahrt. Haus und Grundstück mußten ein Vermögen gekostet haben - vie l leicht nicht ganz soviel wie Bühlers Villa, aber nicht viel weniger. Der rote Kasten einer neu installierten Alarma n lage ragte unter dem Dachgesims hervor.
    Er läutete und spürte, wie er durch den Spion in der Mi t te der massiven Tür überprüft wurde. Nach einer halben Minute öffnete sich die Tür und ließ ein englisches Dienstmädchen in schwarz-weißer Uniform erkennen. Er gab ihr seinen Ausweis, und sie verschwand, um ihre He r rin zu fragen. Ihre Füße patschten über den polierten Hol z fußboden. Sie kam zurück und führte März in das verdu n kelte Wohnzimmer. Ein süßlicher Nebel von Kölnisch Wasser lag über der Szene. Frau Marthe Luther saß auf einem Sofa und zerknüllte ein Taschentuch. Sie sah zu ihm auf - glasige blaue Augen, die mit winzigen Adern durc h setzt waren. »Etwas Neues?«
    »Nein, gnädige Frau. Ich bedaure, das sagen zu mü ssen. Aber Sie dürfen sicher sein, daß keine Anstrengung unte r lassen wird, um Ihren Mann zu finden.« Das ist wahrer

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