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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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als du ahnst, dachte er.
    Sie war eine Frau, die rasch an Anziehungskraft verloren hatte, aber ein tapferes Rückzugsgefecht lieferte. Alle r dings war sie in ihrer Taktik schlecht beraten: unnatürlich blondes Haar, ein enger Rock, eine um einen Knopf zu weit geöffnete Seidenbluse, die eine fette, milchweiße Klüftung zur Schau stellte. Sie sah Zentimeter für Zentim e ter nach einer dritten Frau aus. Ein romantischer R o man lag offen mit dem Gesicht nach unten auf dem bestickten Kissen neben ihr. Der Kaiserball von Barbara Cartland.
    Sie gab ihm seinen Ausweis zurück und schneuzte sich. »Bitte, setzen Sie sich. Sie sehen erschöpft aus. Nicht ei n mal Zeit, sich zu rasieren! Kaffee? Oder vielleicht einen Sherry? Nein? Rose, bring dem Herrn Sturmbannführer Kaffee. Und ich werde mich doch mit einem winzigen Sherry stärken.«
    Während er da unbehaglich auf dem Rand eines tiefen, chintzbezogenen Armsessels kauerte, das Notizbuch o f fen auf dem Knie, lauschte März der weinerlichen G e schichte von Frau Luther. Ihr Gatte? So ein guter Mensch, kurz a n gebunden - ja, vielleicht, aber das waren die Ne r ven, der arme Mann. Der arme, arme Mann - er hatte tränende A u gen, wußte März das?
    Sie zeigte ihm ein Foto: Luther in irgendeinem Mitte l meerbad, in absurden Shorts, finsteren Angesichts, die A u gen hinter den dicken Brillengläsern geschwollen.
    Und sie machte weiter: Ein Mann seines Alters - er wü r de im Dezember neunundsechzig werden, und zu se i nem Geburtstag würden sie nach Spanien fahren. Martin war ein Freund von General Franco - so ein netter kleiner Mann, war März ihm jemals begegnet? »Nein, ich hatte bisher nicht das Vergnügen.«
    Aha, nun ja. Sie könne kaum ertragen, daran zu denken, was alles geschehen sein mochte, immer war er so fürso r gend, ihr zu sagen, wohin er gehe, noch nie habe er so was zuvor getan. Es war so hilfreich, reden zu können, so mi t fühlend ... Ein Seufzer von Seide, als sie die Beine übere i nanderschlug, und der Rock schob sich aufreizend über ein molliges Knie hoch. Das Mädchen erschien wieder und setzte Kaffeetasse, Sahnekännchen und Zuckerdose vor März ab. Ihre Herrin wurde mit einem Glas Sherry und einer dreiviertel geleerten Kristallkaraffe versorgt. »Haben Sie ihn jemals die Namen Josef Bühler oder Wilhelm St u ckart nennen hören?«
    Ein kleiner Riß der Konzentration erschien in dem Brei aus Makeup: »Nein, ich erinnere mich nicht... Nein, wir k lich nicht.« »Ist er am vergangenen Freitag ausgegangen?«
    »Am vergangenen Freitag? Ich glaube - ja. Er ging am frühen Morgen aus, Sie trank ihren Sherry schlückche n weise. März mache sich eine Notiz.
    »Und wann hat er Ihnen gesagt, daß er verreisen mü s se?«
    »Am Nachmittag. Er ist gegen zwei zurückgekommen, sagte, es sei etwas geschehen, und daß er am Montag in München sein müsse. Er ist am Sonntag nachmittag gefl o gen, damit er die Nacht dort verbringen und früh aufstehen könne.« »Und hat er Ihnen gesagt, worum es ging?«
    »In der Beziehung war er sehr altmodisch. Seine Ang e legenheiten waren seine Angelegenheiten, wenn Sieverst e hen,was ich meine.« »Wie erschien er denn vor der Re i se?«
    »Ach, reizbar, wie üblich.« Sie lachte - ein mädchenha f tes Kichern. »Naja, vielleicht war er ein bißchen abwese n der als üblich. Die Fernsehnachrichten deprimierten ihn immer - der Terrorismus, die Kämpfe int Osten. Ich habe ihm gesagt, er solle doch nicht darauf achten - aus Sorgen entsteht nichts Gutes, hab ich gesagt - aber da gab es S a chen . .. ja, die nagten an ihm.« Sie senkte die Stimme. »Er hatte während des Krieges einen Zusammenbruch, der a r me Kerl. Die Belastung ...«
    Sie wollte wieder weinen. März mischte sich ein: »In welchem Jahr war sein Zusammenbruch?« »Ich glaube 1943. Das war natürlich, bevor ich ihn kannte.«
    »Natürlich.« März lächelte und verbeugte sich leicht. »Damals müssen Sie noch die Schule besucht haben.« »Vielleicht nicht mehr gerade die Schule ... « Der Rock schob sich ein bißchen höher. »Wann haben Sie angefa n gen, sich um seine Sicherheit zu sorgen?« »Als er am Mo n tag nicht zurückgekommen ist. Ich war die ganze Nacht wach« »Und dann haben Sie ihn am Dienstag morgen ve r mißt gemeldet?« »Das wollte ich gerade, als Obergruppe n führer Globocznik kam.«
    März bemühte sich, die Überraschung aus seiner Stimme fernzuhalten. »Er kam, noch bevor Sie es der Polizei g e meldet haben? Wie spät war das?«
    »Kurz

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