Vaterland
der Heimchen aus dem NS-Frauenbund, nur »Kinder,
Kirche, Küche« - das Abendessen für den Mann immer fertig, seine Uniform frisch gebügelt, fünf Kinder schlafend oben im Bett. Un d während ein gutes nationalsozialist i sches Mädel vor Kosmetika, Nikotin und Alkohol entsetzt zurückschreckt, bediente Charlott e Maguire sich aller drei freizügig. Ihre dunklen Augen schimmerten sanft im Ke r zenschein, sie redete fast pa u senlos von New York, vo n Auslandsreportagen, von der Zeit ihres Vaters in Berlin, der Verkommenheit von Joseph Kennedy, von Politik und Geld, von Männer n und von sich selbst.
Sie war im Frühjahr 1939 in Washington, D.C. geboren worden.
(»Den letzten Friedensfrühling nennen ihn meine Eltern - in jeder Beziehung.«) Ihr Vater war kurz zuvor aus Berlin zurückgekommen, u m im State Department zu arbeiten. Ihre Mutter versuchte, als Schauspielerin Erfolg zu haben, mußte aber nach 1941 glücklic h sein, daß es ihr gelang, der Internierung zu entgehen. Nach dem Krieg war Michael Maguire in den fünfziger Jahren nach Oms k gegangen, der Hauptstadt dessen, was noch von Rußland übriggeblieben war, um dort in der US-Botschaft zu arbe i ten. Die Stad t wurd e als zu gefährlich angesehen, als daß man vier Kinder hätte mitnehmen können. Also ließ man Charlotte zurück, damit sie i n kostspieligen Schulen in Virginia erzogen werde; aber Charlie war da mit siebzehn ausgestiegen - spuckend und fluchend und gege n alles i n Sichtweite rebe l lierend.
»Ich bin nach New York gegangen. Hab versucht, Schauspielerin zu werden. Das klappte nicht. Hab versucht, Journalistin zu werden.
Das paßte besser zu mir. Hab mich an der Columbia eingeschrieben - zur großen Erleichterung meines Vaters. Und dann - stellen Si e sich bloß vor - hab ich ein Verhäl t nis mit dem Prof a n gefangen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie dumm kann man eigentlich sein?« Si e stieß einen Strahl Zigarettenrauch aus. »Ist da noch Wein drin?«
Er goß ihr den Rest aus der Flasche ein und bestellte e i ne neue. Es schien ihm an der Zeit, auch etwas zu sagen. »Warum Berlin?«
»Eine Möglichkeit, aus New York wegzukommen. Daß meine Mutter Deutsche ist, machte es einfacher, ein Visum zu bekommen. Ic h muß gestehen: World European Feat u res ist nicht ganz so groß wie es klingt. Zwei Männer in einem Büro am fa l schen Ende der Stad t mit einem Telex. Um ehrlich zu sein, die wären über jeden glücklich gew e sen, dem es gelang, von Berlin ein V i sum zu bekommen. Soga r über mich.« Sie sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Ich wußte nicht, daß er verheiratet war, wissen Sie. Der Prof.« Sie schnipste mi t den Fingern. »Grundlegendes Ve r sagen bei den Nac h forschungen, würden Sie nicht auch sagen?«
»Wann ist es zu Ende gegangen?«
»Im letzten Jahr. Ich bin nach Europa gekommen, um ihnen allen zu beweisen, daß ich das konnte. Vor allem ihm. Deshalb macht e s mich so krank, ausgewiesen zu sein. Gott, der Gedanke daran, denen allen wieder entgegentr e ten zu müssen . . .« Sie schlürfte ihre n Wein. »Vielleicht hab ich einen Vaterkomplex. Wie alt sind Sie?«
»Zweiundvierzig.«
»Genau mein Alter.« Sie lächelte ihn über den Rand i h res Glases an. »Sie sollten besser aufpassen. Sind Sie ve r heiratet?«
»Geschieden.«
»Geschieden! Das ist vielversprechend. Erzählen Sie mir von ihr.«
Ihre Offenheit erwischte ihn wehrlos. »Sie war«, begann er, und dann verbesserte er sich. »Sie ist . . .« Er stockte. Wie kann ma n jemanden zusammenfassen, mit dem man neun Jahre langverheiratet war, von dem man seit sieben Jahren geschieden ist und der eine n gerade bei den Behö r den denunziert hat? »Sie ist nicht so wie Sie« war alles, was er sagen konnte.
»Und das heißt?«
»Sie hat keine eigenen Gedanken. Sie sorgt sich darum, was die Leute denken. Sie ist nicht neugierig. Sie ist verbi t tert.«
»Wegen Ihnen?«
»Natürlich.«
»Gibt es jemand anderen?«
»Ja. Einen Parteibürokraten. Paßt viel besser zu ihr als ich.«
»Und Sie? Haben Sie jemanden?«
In März' Geist ertönte eine Hupe. Abtauchen, abtauchen, abtauchen . Seit seiner Scheidung hatte er zwei Affären gehabt. Mit eine r Lehrerin, die in der Wohnung unter ihm lebte, und mit einer jungen Witwe, die an der Uni G e schichte lehrte - eine andere Freundin vo n Rudi Halder: Er verdächtigte Rudi, daß er es sich zur Lebensaufgabe g e macht habe, ihm eine neue Frau zu suchen. Die Beziehu n ge n hatten sich jeweils ein paar Monate
Weitere Kostenlose Bücher