Vaterland
mich mitzunehmen, oder? Hat nichts mit dem Whisky zu tun. Sie wollten mein G e hirn anzapfen, Sie begann zu lachen. »Und ich hab g e glaubt, ich benutzte Sie.«
Danach ging es mit ihnen besser. Was immer es an Gift zwischen ihnen gegeben haben mochte, es war abgesaugt. Er erzählte ihr von seinem Vater, und wie er ihm in die Marine gefolgt war, und wie er zur Polizei gekommen war und langsam Geschmack daran gefunden hatte - fast eine Berufung.
Sie sagte: »Ich kann immer noch nicht verstehen, wie Sie die tragen können.« »Was?«
»Diese Uniform.«
Er goß sich ein weiteres Glas Wein ein. »Oh, da gibt es eine einfache Antwort. 1936 wurde die Kriminalpolizei in die SS eingegliedert; alle Beamten mußten SS-Ehrenränge annehmen. Also hatte ich die Wahl: entweder Fahnder in dieser Uniform mit der Möglichkeit zu versuchen, ein bi ß chen was zu tun; oder jemand ohne Uniform sein und überhaupt nichts tun zu können.« Und wie die Dinge la u fen, werde ich bald nicht einmal mehr diese Wahl haben, dachte er. Sie neigte den Kopf auf die Seite und nickte. »Das kann ich verstehen. Das ist fair.«
Er wurde ungeduldig, er hatte sich selbst satt. »Nein, ist es nicht. Das ist Scheiße, Charlie.« Zum ersten Mal, seit sie zu Beginn des Essens darauf bestanden hatte, nannte er sie so; den Namen zu verwenden erschien ihm wie eine Li e beserklärung. Er hastete weiter: »Das ist die Antwort, die ich in den letzten zehn Jahren jedem gegeben habe, auch mir selbst. Unglücklicherweise habe sogar ich aufgehört, daran zu glauben.«
»Aber was geschehen ist - das Schlimmste von dem, was geschehen ist -, hat sich während des Krieges ereignet, und da waren Sie nicht dabei. Sie haben mir doch erzählt, daß Sie da auf See waren.«
Er sah schweigend auf seinen Teller. Sie fuhr fort: »Und außerdem ist im Krieg alles anders. Alle Länder tun im Krieg schlimme Dinge. Mein Land hat eine Atombombe auf japanische Zivilisten abgeworfen - und hat auf einen Schlag eine Viertel Million Menschen getötet. Und wä h rend der letzten zwanzig Jahre sind die Amerikaner Ve r bündete der Russen gewesen. Und erinnern Sie sich daran, was die Russen getan haben?«
Es war wahr, was sie sagte. Nach und nach hatten die Deutschen, als sie nach Osten vorrückten, die Massengr ä ber der Opfer Stalins entdeckt, angefangen mit den 10000 Leichen von polnischen Offizieren im Wald von Katyn. Millionen waren in den Hungersnöten, den Säuberungen, den Deportationen der dreißiger Jahre umgekommen. Ni e mand kannte die genauen Zahlen. Die Hinrichtungsgruben, die Folterkammern, die GULags im Polarkreis - all das wurde jetzt von den Deutschen als Gedenkstätten für die Toten gepflegt, als Museen des bolschewistischen Übels. Kinder wurden durch sie geführt; ehemalige Häftlinge dienten als Führer. Es gab einen speziellen historischen Forschungszweig, der sich der Erforschung der kommuni s tischen Verbrechen widmete. Das Fernsehen zeigte Dok u mentationen über Stalins Holocaust - gebleichte Schädel und lebende Skelette, von Bulldozern zermatschte Leichen und von der Erde zusammengebackene Überreste von Frauen und Kindern, die man mit Draht zusammeng e schnürt und dann ins Genick geschossen hatte.«
Sie legte ihre Hand auf seine. »Die Welt ist, wie sie ist. Sogar ich sehe das.«
Er sprach, ohne sie anzusehen. »Ja. Schön. Aber alles, was Sie da sagen, habe ich schon gehört. >Das war vor langer Zeit.< >Das war im Krieg - Die Iwans waren die Schlimmsten von allen, >Was kann ein Mann allein m a chen?< Ich habe zugehört, wie Menschen das seit zehn Ja h ren flüstern. Das ist übrigens alles, was sie tun. Flü s tern.«
Sie zog ihre Hand zurück und zündete sich eine neue Z i garette an und drehte ihr kleines goldenes Feuerzeug zw i schen den Fingern. »Als ich zuerst nach Berlin ging und meine Eltern mir die Liste von Leuten gaben, die sie früher gekannt hatten, da standen viele Theaterleute auf ihr, Kün s tler-Freunde meiner Mutter. Ich nehme an, eine ganze Re i he von ihnen müssen nach Lage der Dinge Juden g e wesen sein, oder Homosexuelle. Und ich bin losgezogen und habe sie gesucht. Sie waren natürlich alle verschwu n den. Das hat mich nicht überrascht. Aber sie waren nicht nur ve r schwunden. Es war, als habe es sie nie gegeben.« Sie klopfte mit dem Feuerzeug leicht auf die Tischdecke. Er nahm ihre Finger wahr - schlank, nicht manikürt, ohne Schmuck. »Natürlich lebten jetzt Leute in den Wohnungen, in denen die Freunde meiner Mutter
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