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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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gelebt haben. Oft alte Leute. Sie müssen es gewußt haben, oder? Aber sie haben mich nur leer angesehen. Sie sahen Fernsehen, sie tranken Tee, sie hörten Musik. Übriggeblieben war überhaup t nichts.« März sagte: »Sehen Sie sich das an.«
    Er zog seine Brieftasche und nahm das Foto heraus. Es sah zwischen dem plüschigen Luxus des Restaurants völlig fehl am Platze aus - Reste aus einer Dachkammer, Abfall von einem Verkaufsstand auf dem Flohmarkt. Er gab es ihr. Sie studierte es. Eine Strähne fiel ihr ins Gesicht, und sie wischte sie beiseite. »Wer ist das?« »Als ich in die Wohnung zog, nachdem Klara und ich uns getrennt hatten, war sie seit Jahren nicht mehr tapeziert worden. Ich habe das da im Schlafzimmer hinter der Tapete gefunden. Ich sage Ihnen, ich habe die Wohnung in ihre Einzelteile ze r legt, aber das da war alles. Ihr Familienname war Weiß. Aber wer waren sie? Wo sind sie jetzt? Was ist mit ihnen geschehen?« Er nahm die Fotografie, faltete sie wieder z u sammen und steckte sie zurück in seine Brieftasche.
    »Was soll man tun«, sagte er, »wenn man sein Leben der Jagd von Verbrechern geweiht hat und dann nach und nach entdeckt, daß die wirklichen Verbrecher die sind, für die man arbeitet? Was soll man tun, wenn einem jeder sagt, man solle sich nicht darum kümmern, man könne doch nichts dagegen tun, es sei schon vor so langer Zeit gesch e hen?« Sie sah ihn jetzt auf eine ganz andere Weise an. »Ich nehme an, man wird verrückt.« »Oder schlimmer. Man kommt zur Vernunft«

    Sie bestand trotz seiner Proteste darauf, die Hälfte der Rechnung zu bezahlen. Als sie das Restaurant verließen, war es fast Mitternacht. Sie gingen schweigend zu ihrem Hotel. Sterne wölbten sich über den Himmel; am Fuß der steilen gepflasterten Straße wartete der See. Sie nahm se i nen Arm. »Du hast mich gefragt, ob der Mann in der Bo t schaft, Nightingale, ob er mein Liebhaber ist.«»Das war sehr ungezogen von mir. Es tut mir leid.« »Wärst du en t täuscht, wenn ich dir sage, daß er es nicht ist?« Er zögerte.
    Sie fuhr fort: »Also, er ist es nicht gewesen. Er wäre es gerne gewesen. Tut mir leid. Das klingt nach Angeberei.« »Überhaupt nicht. Ich bin sicher, viele wären das gerne gewesen.« »Aber ich hatte nie jemanden getroffen .. « Ha t te nie. ..
    Sie blieb stehen. »Ich bin fünfundzwanzig. Ich gehe, wohin ich will. Ich tue, was ich will. Ich suche mir aus, wen ich will.« Sie wandte sich ihm zu und berührte leicht seine Wange mit ihrer warmen Hand. »Gott, ich hasse es, diese Art Dinge aus dem Weg räumen zu müssen, und du?« Sie zog seinen Kopf heran.
    Wie eigenartig das doch ist, dachte März hinterher, sein Leben in Unkenntnis der Vergangenheit, der eigenen Welt, seiner selbst zu leben. Und doch, wie einfach! Da geht man durch die Tage über Wege, die andere für einen bereitet haben, und hebt niemals den Kopf - eingewickelt in ihre Logik, von den Windeln bis zum Leichentuch. Es war eine Art von Furcht. Na schön, dem allem ein Lebewohl Und es tat gut, das alles zurückzulassen, was immer jetzt auch g e schehen mochte. Seine Füße tanzten auf den Pflasterste i nen. Er schlang seinen Arm um sie. Er hatte so viele Fr a gen. »Warte, warte«, sie lachte und schmiegte sich an ihn. »Genug. Hör auf. Ich fange an mich zu sorgen, daß du mich nur meines Geistes wegen willst.«
    In seinem Hotelzimmer löste sie ihm die Krawatte und zog ihn wieder an sich, ihr Mund sanft auf seinem. Und während sie ihn imme r noch küßte, schob sie ihm die Jacke von den Schultern, knöpfte ihm das Hemd auf, öffnete es. Ihre Hände fuhren ihm über die Brust,
    um seinen Rücken, über seinen Bauch.
    Sie kniete nieder und zerrte an seinem Gürtel.
    Er schloß die Augen und wühlte mit den Fingern in i h ren Haaren.
    Nach einigen Augenblicken löste er sich zärtlich von ihr und kniete nieder, Angesicht zu Angesicht, und streifte ihr das Kleid ab.
    Davon befreit, warf sie den Kopf zurück und schüttelte ihren Hals, ihre Brüste, ihren Bauch; er sog ihren Duft ein, fühlte ihr feste s Fleisch sich glatt und straff unter seinen Händen spa n nen, ihre sanfte Haut auf seiner Zunge.
    Später geleitete sie ihn zum Bett und setzte sich auf ihn. Das einzige Licht kam vom See. Kräuselnde Schatten um sie herum. Als er de n Mund aufmachte, um etwas zu sagen, legte sie ihm e i nen Finger auf die Lippen.

TEIL IV
    FREITAG, 17. APRIL 1964
    Die Gestapo, die Kriminalpolizei und die Sicherheitsdien s te sind umhüllt 
    von

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