Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
eine Männeruhr ums Handgelenk trug.
    »Was hat Ihre Meinung geändert?« fragte sie.
    Er ließ ihre Hand los. »Sind Sie fertig zum Ausgehen?« Sie trug immer noch ihr rotes Kleid.
    »Ja.«
    »Haben Sie ein Notizbuch?«
    Sie klopfte auf ihre Rocktasche. »Ich bin nie ohne u n terwegs.«
    »Ich auch nicht. Gut. Gehen wir.«

    Die Schweiz war ein Nest von Lichtern in einer großen Dunkelheit, und Feinde umgaben sie auf allen Seiten: It a lien im Süden, Frankreich im Westen, Deutschland im Norden und Osten. Ihr Überleben war eine Quelle ständ i gen Staunens: »Das Schweizer Wunder« nannten sie es.
    Lu xemburg war zum Moselland geworden, E l saß-Lothringen zur Westmark; Österreich war die Ostmark. Was die Tschechoslowakei angeht - jenes Bastardkind aus Versailles war zum Protektorat Böhmen-Mähren g e schrumpft. Polen, Lettland, Litauen, Estland - von der Landkarte verschwunden. Im Osten war das Deutsche Reich in die vier Reichskommissariate Ostland, Ukraine, Kaukasus und Muskowien gegliedert.
    Im Westen hatte Deutschland zwölf Nationen - Portugal, Spanien, Frankreich, Irland, Großbritannien, Belgien, die Niederlande, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland - durch den Vertrag von Rom in einem europ ä ischen Handelsblock zusammengepfercht. Deutsch war auf allen Schulen offizielle Zweitsprache. Die Leute fuhren deutsche Autos, hatten deutsche Radios, besaßen deutsche Fernsehgeräte, arbeiteten in Fabriken i n deutschem Besitz, stöhnten über das Benehmen deutscher Touristen in deutsch beherrschten Ferienorten, während deutsche Mannschaften jeden internationalen Spottwettkampf g e wannen, mit Ausnahme von Cricket, das nur die Engländer spielten. Und in mitten von all dem war allein die Schweiz neutral. Das war nicht die Absicht des Führers gewesen. Aber als die Wehrmachtsplaner endlich eine Strategie en t wickelt hatten, um auch die Schweiz zu unterwerfen, hatte das Patt des Kalten Krieges begonnen. So blieb sie ein Stück Niemandsland, die mit den verg e henden Jahren für beide Seiten immer nützlicher wurde, ein Ort, wo man sich insgeheim treffen und miteinander verhandeln konnte.
    »In der Schweiz gibt es nur drei Klassen von Bürgern«, hatte der Kripo-Experte zu März gesagt. »Amerikanische Spione, deutsche Spione und Schweizer Bankiers, die ve r suchen, beiden ihr Geld abzunehmen.«
    Während des vergangenen Jahrhunderts hatten diese Bankiers sich entlang der Ostküste des Zürichsees wie eine reiche Kruste angesetzt; ein Wasserstandsmesserdes Reic h tums. Wie auf Schwanenwerder stellten sich ihre Villen der Welt mit kahlen Gesichtern aus hohen Mauern und festen Toren, und dahinter dichte Baumabschirmungen. März lehnte sich nach vorn und sagte zu dem Fahrer: »Fahren Sie hier langsamer.«
    Inzwischen bildeten sie schon einen beachtlichen Au f zug: März und Charlie in einem Taxi, dem zwei Wagen folgten, in denen je ein Schweizer Polizist saß. Die Beller i ve-Straße ging über in die Seestraße. März zähltwdie Hausnummern. »Halten Sie hier an.«
    Der Fahrer hielt am Bordstein. Die Polizeiwagen übe r holten sie; hundert Meter weiter leuchteten ihre Bremslic h ter auf. Charlie sah sich um. »Was jetzt?«
    »Jetzt werden wir einen Blick auf das Heim des Doktors Hermann Zaugg werfen.« März bezahlte den Taxifahrer, der sofort wendete und zur Stadtmitte zurückfuhr. Die Straße war still.
    All diese Villen waren gut bewacht, aber die von Zaugg – die dritte, zu der sie kamen - war eine Festung. Tore aus massivem Metall, drei Meter hoch, auf beiden Seiten von Steinmauern flankiert.
    Eine Sicherheitskamera überwachte den Eingang. März nahm Charlies Arm, und wie ein Liebespaar auf einem Spaziergang bummelten sie vorbei. Sie überquerten die Straße und warteten auf der anderen Seite in einer Einfahrt. März blickte auf die Uhr. Es war kurz nach neun. Fünf M i nuten vergingen. Schon wollte er vorschlagen zu gehen, als die Tore klirrend und mit Maschinengebrumm aufz u schwingen begannen. Charlie flüsterte: »Jemand kommt raus.« »Nein.« Er nickte die Straße hinauf. »Jemand will rein.«
    Die Limousine war groß und mächtig: ein britischer Wagen, ein Bentley, schwarz. Er kam aus der Stadt, fuhr schnell, bog ein und schwang in die Einfahrt. Ein Fahrer und noch ein Mann vorne; hinten ein Blitz von silbernem Haar - vermutlich das von Zaugg. März, hatte gerade noch Zeit zu bemerken, wie niedrig die Karosserie über dem Boden hing. Dann schluckten die Reifen einer nach dem anderen die

Weitere Kostenlose Bücher