Vatermord und andere Familienvergnuegen
sollten uns da raushalten. Was denkst du?«
Ich sagte ihm nicht, was ich dachte, denn ich dachte Folgendes: Alle hier außer Eddie & mir haben einen Bart.
Konnte die Bedeutung all der gutturalen Laute nicht erfassen - aber die Feindseligkeit. Nachdem die Gruppe Araber wieder die schräge Rampe hochgestiegen war, spuckte ihr Anführer auf den Boden, eine Geste, die für mich immer schon besagte: Ich hab zu viel Angst, dir ins Gesicht zu spucken, daher platziere ich bloß ein bisschen Schleim einen halben Meter neben deinen linken Schuh, okay?
Morgengrauen
Verändere ich mich? Kann sich der Charakter eines Menschen ändern? Man stelle sich nur einen Unsterblichen vor. Grauenhaft die Vorstellung, er könnte jahrhundertelang die immergleichen öden Schnitzer machen. Wenn man sich vorstellt, dass der Unsterbliche an seinem 700 552. Geburtstag immer noch den Teller anfasst, obwohl man ihm gesagt hat, dass er heiß ist - sicher, uns ist eine große Veränderungsfähigkeit gegeben, aber achtzig Jahre lassen einem nicht viel Gelegenheit dazu. Man muss schon schnell lernen können. Man muss eine Ewigkeit in ein paar schäbigen Jahrzehnten unterbringen.
Kam heute Morgen an einem schrecklich verkrüppelten Bettler vorbei, praktisch nur noch ein mit seinem Becher klappernder
Torso - war das wirklich ich, der ihm hundert Francs gegeben & gesagt hat: Nehmen Sie sich heute frei? Ich war das nicht, jedenfalls nicht ganz und gar. Es war eine meiner Persönlichkeiten, eine der zahllosen. Einige davon lachen mich aus. Andere knabbern vor Spannung an den Fingernägeln. Eine schnaubt höhnisch. So sind sie, die vielen. Einige der Persönlichkeiten sind Kinder & andere Eltern. Deswegen ist jeder Mann sein eigener Vater & sein eigener Sohn. Wenn man genug lernt kann man mit den Jahren seine Persönlichkeiten wie tote Hautschichten abstreifen. Manchmal treten sie aus einem heraus & laufen herum.
Ja, ich verändere mich. Veränderung ist wenn neue Persönlichkeiten in den Vordergrund treten und andere sich in vergessene Landschaften zurückziehen. Ein erfülltes Leben kann man vielleicht so definieren dass jeder Bewohner der Halle der Persönlichkeiten mal mit dir eine Spritztour gemacht hat - der Kommandeur der Liebhaber der Feigling der Misanthrop der Kämpfer der Priester der Moralapostel der Unmoralapostel der Liebhaber des Lebens der Verächter des Lebens der Dummkopf der Richter der Henker — wenn jedes bisschen Seele im Augenblick des Todes zufriedengestellt ist. Wenn auch nur eine der eigenen Persönlichkeiten bloß Zuschauer oder Tourist war bleibt das Leben unvollendet.
Mein Oberkommandierender die höchste Autorität in der Hierarchie meines Kopfes ist zurück - tyrannischer Mistkerl. Er befiehlt mir bei Astrid zu bleiben & es durchzustehen. Kein Wunder dass ich durcheinander bin. Ich werde von dem totalitären Polizeistaat unterdrückt, in dem ich lebe. Irgendwann muss es eine Revolution geben. Eine Revolte all meiner Persönlichkeiten - bin aber nicht sicher ob eine darunter ist die sich zu ihrem Anführer eignet: ein Befreier.
Entschlüpft!
Baby entschlüpft! Aus Flüssigkeit wurde Fleisch! Nun gibt es kein Zurück mehr. Wir haben es Jasper genannt.
Anlass zu Freude & Furcht & Zittern. Astrid stolze Mutter - ich semistolz. War nie ein großer Teamarbeiter. Baby war eine Koproduktion & meine persönliche Handschrift nur schwer zu erkennen.
Heute tritt das Baby auf einer Decke Stummelfüße in die Luft. Hab Astrid gebeten ihn vom Boden fernzuhalten - wäre peinlich wenn das Kind von Ratten gefressen würde. Über das Baby gebeugt & geguckt aber in Wirklichkeit wollte ich in seinen Schädel schauen ob dort etwas Böses oder Grausames oder Intoleranz oder Sadismus oder Unmoralisches drinsteckt. Ein neues menschliches Wesen. Bin nicht beeindruckt dass es von mir ist.
Werde den Gedanken nicht los, dass wir mit diesem Baby ein absurdes Monument unserer leidenschaftslosen Beziehung geschmiedet haben - wir haben ein Symbol für etwas geschaffen das es nicht wert ist symbolisiert zu werden: ein verrücktes Gebilde aus Fleisch, das im selben Maß wachsen wird wie unsere Liebe dahinschwindet.
Der Gestank! Der Gestank!
Hier gibt's mehr Fäkalien als in der Kerkerzelle des Marquis de Sade.
Stille
Baby weint nicht. Ich weiß nichts über Babys außer dass sie weinen. Unseres weint nicht.
»Warum ist er so verdammt still?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht.«
Astrid saß kreidebleich im Wohnzimmer und
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