Vatermord und andere Familienvergnuegen
heraushängenden Zungen, die Münder so weit aufgesperrt wie beim Zahnarzt. In ihren Augen bemerkte ich etwas Gelbes. Was ich roch, war wie kein anderer Geruch, den ich je gerochen hatte. Das waren Leute, die man in die Dunkelheit geworfen hatte, Menschenreste, Hauptdarsteller in ihren eigenen Albträumen, in dünne Hemdchen gehüllt, unter denen die Psyche herausstach wie eine Rippe. Sie waren das letzte Glimmen eines erlöschenden Feuers. Wo auf der Welt gab es für sie einen Platz?
Die Ärzte eilten schnellen Schrittes dahin, um den Patienten ihr irres Lachen zu nehmen. Ich sah mir die Gesichter der Pfleger an: Wie konnten sie hier arbeiten? Sie mussten entweder Sadisten oder Heilige sein, etwas anderes kam nicht infrage - aber konnten sie beides sein? Sie und die Ärzte sahen müde aus: Köpfe von falschen Vorstellungen freizuräumen, ist sicher ein kraftraubendes Geschäft.
Welches menschliche Wesen, fragte ich mich, konnte aus diesem Gebäude grausamer Albträume wieder herauskommen und sagen: »Na schön, dann mal zurück an die Arbeit?«
Die Schwester saß gespenstisch ruhig auf ihrer Station, mit gequälter Miene, als habe man ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
»Jasper Dean, ich möchte zu Martin Dean«, sagte ich. »Gehören Sie zur Familie?«
Nachdem ich eine Weile stumm geblieben war, sagte sie: »Ich rufe Dr. Greg.«
»Ich hoffe, das ist sein Nachname.«
Sie nahm den Telefonhörer und piepste Dr. Greg an. Ich forschte in Mrs. Frenchs Gesicht nach einem Zeichen, ob sie zur Kenntnis genommen hatte, dass ich mich nicht Kasper genannt hatte, doch sie ließ sich nichts anmerken.
Einige Minuten später erschien Dr. Greg; er sah schick aus und lächelte wie jemand, der sich selbst für sympathisch hält, besonders beim ersten Eindruck. »Ich bin froh, dass du hier bist. Dein Vater redet nicht mit uns«, verkündete er.
»Und?«
»Und ich habe gehofft, du würdest mit in sein Zimmer kommen und uns weiterhelfen.«
»Wenn er nicht mit Ihnen reden will, bedeutet das, dass ihn Ihre Meinung nicht interessiert. Meine Anwesenheit wird daran nichts ändern.«
»Warum interessiert meine Meinung ihn nicht?«
»Na ja, Sie haben wahrscheinlich zu ihm gesagt: >Wir sind auf Ihrer Seite, Mr. Dean<, oder: >Wir sind hier, um Ihnen zu helfen<, oder so was in der Art.«
»Was ist daran falsch?«
»Passen Sie auf. Sie sind Psychiater, ja?«
»Und?«
»Er hat die Bücher Ihrer Vorgänger gelesen: Freud, Jung, Adler, Rank, Fromm, Becker. Diese Typen. Sie müssen ihn überzeugen, dass Sie vom selben Kaliber sind.«
»Tja, ich bin nicht Freud.«
»Na, da haben Sie Ihr Problem.«
Mrs. French wartete auf der Station, und ich folgte dem Doktor durch die düsteren Flure mit zahllosen sich öffnenden und wieder schließenden Türen. Wir kamen zu Dads Zimmer, und der Arzt schloss es auf. Im Raum befanden sich ein schmales Bett, ein Tisch und halb zerkaute Bröckchen undefinierbarer Speisen auf einem Teller. Dad stand mit dem Rücken zu uns und starrte aus dem Fenster. Ihn anzusehen war, als betrachtete man einen kahlen Baum im Winter.
»Sehen Sie mal, Martin. Sie haben Besuch von Ihrem Sohn«, sagte Dr. Greg.
Als er sich umdrehte, entfuhr mir ein Keuchen. Es schien, als habe man ihm sämtliche Gesichtsknochen und -muskeln entfernt. Er trat vor, mit dem benommenen Ausdruck einer Mutter nach der Entbindung.
Jedes Schweigegelübde meines Vaters war null und nichtig, sobald er mich sah. »Jasper. Hör gut zu. Du kannst deine früheren Identitäten nie wirklich töten. Sie liegen in einem Massengrab, lebendig begraben, eine über der anderen, und warten auf die Gelegenheit zur Auferstehung, und weil sie einmal tot waren, lenken sie dich wie einen Zombie, weil sie selbst Zombies sind. Verstehst du, worauf ich hinauswill? Deine ganzen alten Misserfolge werden wieder lebendig!«
Ich sah zu Dr. Greg und sagte: »Sie wollten doch, dass er redet. Bitte, er redet.«
Dad saugte trotzig seine Unterlippe ein. Ich ging zu ihm hin und flüsterte: »Dad, du musst hier raus. Sie haben mich in ein staatliches Kinderheim gesteckt. Es ist grauenhaft.«
Er sagte nichts. Dr. Greg sagte auch nichts. Ich sah mich im Zimmer um und fand, es war die schlimmstmögliche Umgebung für jemanden, dessen geistige Gesundheit gerade in sich zusammengefallen war, da es ihm nur noch mehr Zeit zur Selbstbespiegelung bot, und wenn seine Krankheit eine Ursache hatte, dann war es exzessive Selbstbespiegelung. Übermäßiges Nachdenken hatte ihn
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