Vatermord und andere Familienvergnuegen
schnappte sich mich und schob mich aus dem Zimmer. Durch das kleine Fenster in der Tür konnte ich Dad immer noch sehen. Die Krankenpfleger hielten ihn auf dem Tisch fest und piksten ihm eine Nadel in den Arm. Er trat um sich und schrie; was immer in der Spritze war, die Wirkung ließ auf sich warten. Dads störrischer, überhitzter Stoffwechsel reagierte verzögert, seine Erregung war viel zu elektrisierend. Dann sah ich sein Gesicht nicht mehr, weil einer der Krankenpfleger im Weg stand, und mir kam der Gedanke, dass mir wahrscheinlich selbst beim Weltuntergang jemand mit Hochfrisur die Sicht verstellen würde. Schließlich trat der Krankenpfleger zur Seite, und ich sah, dass Dad, besabbert und dösig, mit Medikamenten ruhiggestellt war. Nach ein paar weiteren Spasmen war er wieder wunschlos glücklich, und Dr. Greg kam nach draußen, um mit mir zu sprechen. Sein Gesicht war rot und verschwitzt, und ich erspähte einen Anflug von Belebung hinter seinen Augen, als würde er sich insgeheim sagen: »Genau darum geht es!«
»Sie können ihn nicht hierbehalten!«, brüllte ich.
»Allerdings können wir das.«
Er zeigte mir irgendwelche Papiere. Jede Menge Fachchinesisch. Ich verstand kein Wort davon. Es war alles ziemlich öde. Sogar die Schrifttypen waren langweilig.
»Hören Sie. Was ist nötig, um ihn hier rauszuschaffen?«
»Es muss ihm erst wieder besser gehen als im Moment.«
»O Mann, könnten Sie etwas genauer werden?«
»Ausgeglichener. Wir müssen überzeugt davon sein, dass er keine Gefahr für sich selbst, für dich oder für andere darstellt.«
»Und wie wollen Sie das hinbekommen? Wie genau?«
»Indem ich ihn dazu bringe, mit mir zu reden. Und durch Medikation, mit der wir ihn einigermaßen stabil halten.«
»Das klingt alles ziemlich langwierig.«
»Es geht nicht über Nacht.«
»Und wie lange dauert es nun? Grob geschätzt?«
»Ich weiß es nicht, Jasper. Sechs Monate? Ein Jahr? Zwei Jahre? Sieh ihn dir an - dein Vater ist ziemlich hinüber.«
»Ja, Scheiße, und was soll ich jetzt tun? In einem beschissenen staatlichen Kinderheim leben?«
»Hast du keine Verwandten, die sich um dich kümmern können?«
»Nein.«
»Tanten oder Onkel?« »Tot.«
»Großeltern?«
»Tot! Tot! Die sind alle scheißtot!«
»Es tut mir leid, Jasper. Man kann das nun mal nicht beliebig beschleunigen.«
»Es muss aber gehen.« »Ich weiß nicht, wie.«
»Das liegt daran, dass Sie ein Idiot sind«, sagte ich und stürmte den Flur hinunter, ohne mich um das laute Gestöhne rechts und links zu kümmern.
Am Empfangstresen studierte Mrs. French aufmerksamst ihre Fingernägel, wie jemand, der ungern mit seinen Gedanken allein bleibt. Diese Fingernägel waren ein Ausweg. Ich überließ sie ihnen und schlich mich in den Aufzug. Auf dem Weg nach unten dachte ich an die vielen Leute, die sich schon selbstgefällig als Verrückte bezeichnet hatten, und ich wünschte ihnen alles, alles Schlechte.
Ich nahm den Bus nach Hause. Die anderen Fahrgäste sahen genauso müde und erschöpft aus, wie ich mich fühlte. Ich dachte über mein Problem nach: Die Klinik würde nicht zu seiner Genesung beitragen, sondern im Gegenteil seinen körperlichen, geistigen und seelischen Verfall beschleunigen, und wenn Dad wieder gesund werden sollte, musste er dort raus, aber um dort rauszukommen, musste er erst gesund werden. Um ihn gesund zu machen, musste ich herausfinden, was genau ihn krank gemacht hatte, mit welchen Mitteln er sich selbst außer Gefecht gesetzt hatte.
Zu Hause suchte ich dann Dads Notizbücher aus jüngerer Zeit. Ich benötigte einen Ansatzpunkt, und kein Lehrbuch konnte mir besser weiterhelfen als eines, das er selbst geschrieben hatte. Aber ich fand sie nicht. Sie waren nicht in seinem Schrank, nicht unter seinem Bett, nicht in Plastiktüten gepackt und im Spülkasten der Toilette verborgen - an keinem seiner üblichen Verstecke. Nachdem ich eine Stunde lang alles durchwühlt hatte, musste ich mir eingestehen, dass sie nirgendwo in der Wohnung waren. Was hatte er damit angestellt? Ich stellte noch einmal das Schlafzimmer auf den Kopf, wodurch ich es lediglich von einem Chaoszustand in einen anderen versetzte. Erschöpft legte ich mich auf sein Bett. Alles roch nach Dads Kollaps, und ich tat, was ich konnte, um den unangenehmen Gedanken zu unterdrücken, dass dies nicht der Anfang vom Ende war, sondern das tatsächliche, endgültige, nicht abzuwendende Ende, das Ende vom Ende.
Auf Dads Nachttisch lag eine Postkarte
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