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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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angefangen?«
    Keine Ahnung. Vor einem Monat? Einem Jahr?
    »Wie kriegen wir ihn wieder hin?«, fragte Eddie sich selbst. »Wir müssen uns was ausdenken. Mal sehen. Lass mich nachdenken.«
    Wir standen volle zwanzig Minuten lang knietief in Schweigen versunken. Eddie dachte nach. Es widerte mich an, wie er durch seine Nasenlöcher atmete, die durch etwas, das ich deutlich sehen konnte, teilweise blockiert waren. Nach weiteren zehn Minuten sagte Eddie: »Ich glaube, ich werde zu Hause weiter darüber nachdenken.« Und dann ging er. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Falls er irgendwelche brillanten Ideen hatte, kamen sie einfach nicht mehr rechtzeitig.
    Eine Woche später hämmerte es an die Tür. Ich ging in die Küche, machte Toast und fing an zu zittern. Ich weiß nicht, woher ich wusste, dass das Universum etwas Besonderes für mich ausgekotzt hatte. Ich wusste es einfach. Das Hämmern an der Tür hörte nicht auf. Ich wollte meine Einbildungskraft nicht überstrapazieren, also ging ich wider besseres Wissen aufmachen. Eine Frau mit Hängebäckchen und langen, braunen Zähnen stand vor der Tür und hatte ein Mitleidsgesicht aufgesetzt. Ein Polizist war bei ihr. Es war wohl nicht der Polizist, dem ihr Mitleid galt.
    »Bist du Kasper Dean?«, fragte sie.
    »Worum geht es denn?«
    »Dürfen wir hereinkommen?« »Nein.«
    »Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen. Dein Vater ist im Krankenhaus.«
    »Geht es ihm gut? Was ist passiert?«
    »Es geht ihm nicht sehr gut. Er muss eine Weile dableiben. Ich möchte, dass du mit uns kommst.«
    »Wovon reden Sie? Was ist ihm passiert?« »Das erzählen wir dir im Auto.«
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie mit mir vorhaben, aber Sie können mich mal.«
    »Jetzt komm, Junge«, sagte der Polizist, der offensichtlich nicht in der Stimmung war, meine Anregung aufzugreifen.
    »Wohin?«
    »Es gibt ein Heim, in dem du einige Tage bleiben kannst.« »Mein Heim ist hier.«
    »Wir können dich nicht alleine hierbleiben lassen. Du bist noch keine sechzehn.«
    »O bitte! Ich kümmere mich seit Ewigkeiten um mich selbst!«
    »Komm jetzt, Kasper«, blaffte der Polizist.
    Ich verriet ihm nicht, dass mein Name eigentlich Jasper war. Ich sagte ihm nicht, dass Kasper eine Erfindung meines Vaters war und dass Kasper vor vielen Jahren der Garaus gemacht worden war. Ich entschied mich, mitzuspielen, bis ich herausbekommen würde, wie die Lage wirklich war. Eins wusste ich: Ich war unter sechzehn, und das bedeutete, ich hatte keinerlei Rechte. Die Leute reden dauernd über die Rechte der Kinder, aber es sind nie die Rechte, die man braucht, wenn man welche braucht.
    Ich stieg zu ihnen in den Streifenwagen.
    Unterwegs teilten sie mir mit, dass Dad mit seinem Auto ins Fenster des Fleshpot gefahren war. Diese Tat an sich hätte man noch als bedauerlichen Unfall werten können, nur dass er, nachdem er durchs Fenster gerast war, das Lenkrad bis zum Anschlag eingeschlagen, im engsten Wendekreis Runden auf der Tanzfläche gedreht hatte, mitten rein in Tische und Stühle, das Lokal verwüstet und die Theke zerstört hatte. Die Polizei hatte ihn aus dem Auto zerren müssen. Er war verrückt geworden. Und nun war er im Irrenhaus. Ich war nicht überrascht. Es fordert seinen Tribut, wenn man der Zivilisation abschwört, aber weiterhin darin lebt. Von einem Berggipfel aus betrachtet, mag es noch angehen, aber Dad steckte mittendrin, und seine wild gewordenen Widersprüche hatten sich schließlich gegenseitig ausgeknockt. »Kann ich zu ihm?«
    »Heute nicht«, sagte die Frau. Wir hielten vor einem Vorstadthaus. »Hier wirst du ein paar Tage bleiben, bis wir sehen, ob irgendeiner von deinen Verwandten dich abholen kommen kann.«
    Verwandte? Ich kannte keine Verwandten.
    Das Haus war ein einstöckiger Backsteinbau und sah aus wie jedes andere Einfamilienhaus. Von außen hätte man nicht vermutet, dass sie darin die Trümmer zerfallener Familien lagerten. Der Polizist drückte zweimal auf die Hupe, als wir vorfuhren. Aus dem Haus kam eine Frau mit einem ausladenden Mono-Busen und einem Lächeln, von dem ich sofort wusste, dass es mich durch abertausend schreckliche Albträume verfolgen würde. Das Lächeln sagte: »Deine Tragödie ist meine Eintrittskarte ins Himmelreich, also komm her und drück mich.«
    »Du musst Kasper sein«, sagte sie. Ein kahlköpfiger Mann trat neben sie und nickte so eifrig, als sei er Kasper.
    Ich schwieg.
    »Ich bin Mrs. French«, sagte die einbusige Frau voller Stolz,

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