Vatermord und andere Familienvergnuegen
hierher gebracht. Ich betrachtete Dr. Greg: Er lehnte am Tisch, als sähe er sich ein Theaterstück an, bei dem keiner der Schauspieler weiß, wer wann etwas sagen soll.
»Hier. Ich hab dir was mitgebracht«, sagte ich und gab Dad das Heft mit den Rätseln. Er warf mir einen traurigen Blick zu, als er es entgegennahm und es unter kleinen »Hmmms« genauer zu betrachten begann. »Stift bitte«, sagte er mit heiserem Flüstern und streckte seine Hand aus, ohne aufzusehen.
Ich starrte Dr. Greg an, bis er widerwillig einen Stift aus seiner Brusttasche fischte und ihn mir so vorsichtig aushändigte, als wäre er eine Machete. Ich reichte ihn an Dad weiter. Er schlug das Heft auf und begann sich durch das erste Labyrinth zu arbeiten. Ich überlegte, was ich sagen könnte, aber mir fiel nichts Besseres ein als: »Gern geschehen«, obwohl er sich nicht bedankt hatte.
»Erledigt«, sagte er zu sich selbst, als er fertig war.
»Martin«, sagte Dr. Greg. Dad zuckte zusammen, schlug die Seite um und starrte auf das nächste Labyrinth. Von dort, wo ich saß, stand das Heft auf dem Kopf, und mir wurde schwindelig, als ich ihm zusah.
Nach einer Minute sagte er: »Zu einfach«, blätterte weiter und nahm das dritte Labyrinth in Angriff. »Sie werden nach und nach schwieriger, je weiter man nach hinten kommt«, sagte er, an niemanden gerichtet.
Er rückte den Rätseln jetzt zwanghaft zu Leibe. Dr. Greg warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: »Warum musstest du einem geistig Verwirrten ausgerechnet ein Kopfnuss-Kompendium mitbringen«, und ich sah ein, dass ich mit meinem ersten Impuls, ihm Pornos zu kaufen, richtiger gelegen hätte.
»Eddie sagt, du kannst sofort wieder zur Arbeit kommen, wenn du so weit bist«, bemerkte ich.
Ohne aufzuschauen, erwiderte Dad: »Der Drecksack.«
»Das ist eigentlich ziemlich kulant von ihm, finde ich, wenn man bedenkt, dass du sein Lokal verwüstet hast.«
»Am ersten Tag in Paris, als ich ihn kennenlernte, hat er mir Geld angeboten, dann hat er mir einen Job angeboten. Dann hat er einen Job für mich gefunden. Später ist er mir dann bis nach Australien gefolgt und hat mir Geld gegeben, damit du zu essen hast. Nicht viel, hundert hier und hundert da, aber er hilft mir immer wieder aus.«
»Das klingt, als hätten Sie da einen guten Freund«, sagte Dr. Greg.
»Was wissen Sie denn davon?«, blaffte Dad.
Schluss mit dem Geplänkel, dachte ich. Ich trat ganz nah an Dad heran und versuchte ihm wieder etwas ins Ohr zu flüstern. »Dad, du musst unbedingt hier raus, ich brauche dich. Sie haben mich in ein Heim gesteckt.« Er sagte nichts, sondern wandte sich dem letzten Labyrinth im Buch zu. »Es ist gefährlich. Ein Kerl hat versucht, mich anzumachen«, log ich.
Er sagte immer noch nichts, legte nur verärgert sein Gesicht in Furchen, nicht wegen meiner geschmacklosen Lüge, sondern weil er das Rätsel nicht auf Anhieb lösen konnte.
»Martin«, ließ sich Dr. Greg vernehmen, »wollen Sie Ihren Sohn nicht ansehen?«
»Ich weiß, wie er aussieht«, sagte Dad.
Es war klar, dass Dr. Gregs beleidigende Mittelmäßigkeit Dad die Luft zum Atmen nahm. Der Doktor stapfte mit schlammverkrusteten Stiefeln auf dem unbeleuchteten Terrain von Dads Geist herum und trampelte alles nieder, ohne irgendetwas zu verstehen. Wie ich schon sagte: Dad wollte von einem Freud oder einem Jung gelöchert werden, und falls es keine anderen Indizien dafür gab, dass sein Verstand aus den Fugen geraten war, war die Erwartung, in dieser Verwahranstalt würde sich ein unentdecktes Genie seiner annehmen, Beweis genug.
Er hatte immer noch Probleme mit dem letzten Labyrinth. Sein Stift wanderte hindurch, aber er geriet immer wieder in Sackgassen. »Was soll der Scheiß?«, sagte er. Er knirschte so laut mit den Zähnen, dass wir es hören konnten.
»Martin, warum legen Sie das Buch nicht beiseite und unterhalten sich mit Ihrem Sohn?«
»Schnauze!«
Plötzlich sprang Dad hoch und stampfte mit dem Fuß auf. Er packte einen Stuhl, hielt ihn über den Kopf und atmete so tief ein, dass sich sein ganzer Körper hob. »Schafft mich sofort hier raus!«, brüllte er und schwenkte den Stuhl durch die Luft.
»Hinstellen!«, schrie Dr. Greg. »Keine Angst, Jasper.«
»Ich hab keine Angst«, sagte ich, obwohl ich ein bisschen Angst hatte. »Dad«, sagte ich, »jetzt sei kein Vollidiot.«
Dann kam die Verstärkung, genau wie im Film. Ein Krankenpfleger kam angerannt, packte Dad und drückte ihn auf den Tisch. Ein anderer
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