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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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schnell um. Man sah seinem Gesicht an, selbst aus dieser Entfernung, dass der Mann den Zusammenbruch seines eigenen Verstands erlebt hatte, und die Erinnerung daran stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. » Was machst du da, du Vollidiot?«, schrie Anouk. Dad starrte sie weiter an, als sei sie ein Hündchen, das er aus Holz geschnitzt hatte und das ihn zu seinem Schreck plötzlich ansprach.
    Wir rannten nach draußen. Es war zu spät. Wir drei standen vor den toten Fischen, die auf der Seite lagen, mit ungläubig vorquellenden Augen.
    »Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte Anouk.
    »Ja«, sagte Dad mit leiser Stimme. »Ich glaube, ja.«
    In dieser Nacht kroch die Kälte in mich hinein. Das Feuer ging langsam aus, darum ging ich komplett angezogen nach oben ins Bett und türmte Decken über mich. Von meinem Bett aus sah ich ein schwaches Leuchten, das vom Garten hinter dem Haus kam. Ich ging zum Fenster. Unten stand Dad im Schlafanzug und hielt eine Kerosinlampe, die im Dunkeln hin und her schwang.
    Er betrauerte diese Fische. Er ging sogar so weit, in theatralischer Reue über seine Untat auf seine Hände zu starren, als spiele er bei einer Studentenaufführung von Macbeth mit. Ich beobachtete ihn eine Weile, wie er dort unten im Garten stand, während der Mond sein Minikönigreich in bleiches Licht tauchte. Der Wind pfiff durch die Bäume. Die Zikaden sangen ein monotones Lied. Dad warf Steine in den Teich. Ich war angewidert, aber er hatte etwas Bezwingendes, wie er so dastand.
    Ich hörte hinter mir ein Geräusch.
    Irgendetwas war in meinem Zimmer: eine Fledermaus, ein Opossum oder eine Ratte. Ich wusste, dass ich nicht einschlafen würde, ehe es nicht tot oder entfernt worden war; ich wusste, dass ich im Dunkeln auf dem Bett liegen und darauf warten würde, dass sich spitze, gezackte Zähnchen in meine Zehen gruben. Da haben Sie unser neues Haus. Unser Haus, in dem aus jedem kleinen Riss und jeder kleinsten Öffnung, jedem Loch und jedem Schlitz ein Lebewesen kroch.
    Ich ging nach unten und war gerade dabei, es mir auf der Couch gemütlich zu machen, als mein Vater aus dem Garten kam.
    »Ich schlafe heute Nacht hier unten«, sagte ich.
    Er nickte. Ich sah, wie er in den Regalen nach etwas zu lesen suchte. Ich drehte mich auf die Seite und dachte, dass die Fertigstellung seines Projekts eine neue Gefahr in sich barg: erneutes Däumchendrehen. Was würde er jetzt anfangen? Mit seiner ganzen Gehirnaktivität? Das Haus und der Irrgarten hatten ihn eine Zeit lang aufrechterhalten und würden es auch noch eine Zeit lang tun, aber nicht ewig. Früher oder später würde er ein neues Projekt brauchen, und wenn man bedachte, dass seine Projekte nach und nach immer komplexer geworden waren - erst die Vorschlagsbox, dann das Handbuch des Verbrechens, das Anlegen des Labyrinths -, musste das nächste geradezu gigantisch ausfallen. Etwas, das ihn, welche Ironie, bis zu seinem Tod aufrechterhalten, ihn aber wahrscheinlich zugleich auch umbringen würde.
    Dad nahm in einem Lehnstuhl Platz und tat, als läse er. Ich wusste genau, was er tat: Er sah mir beim Schlafen zu. Früher hatte mich diese gruselige Angewohnheit gestört. Mittlerweile empfand ich sie als sonderbar tröstlich - das hörbare Umblättern der Seiten in der Stille, sein pfeifender Atem und seine bleierne Präsenz füllten das ganze Zimmer.
    Er blätterte schnell um. Er tat nun nicht mehr nur so, als lese er, er gab vor, querzulesen. Ich spürte seine Blicke wie einen Sandsack auf meinem Kopf, streckte mich auf dem Sofa aus, gab einen kleinen Seufzer von mir und tat, nachdem ich eine angemessene Zeit hatte verstreichen lassen, als träumte ich.
     

TEIL VIER

1
    Es muss so gewesen sein, dass das Labyrinth im Garten alles drinnen infizierte. Warum sonst sollte Dad überall im Haus Zettel herumliegen lassen, auf die er unsinnige Nachrichten geschrieben hatte, wie etwa: »Rost ärgert unter Medikus die erste in neun Zoten immerhin mehr Miete edelster Rumpf Abwasser und Flasche.« Diese Mitteilungen ließen sich schnell entschlüsseln, weil er das simpelste Verschlüsselungssystem anwandte, bei dem die Anfangsbuchstaben der einzelnen Wörter die eigentliche Botschaft ergeben.
     
    »Rost ärgert unter Medikus die erste in neun Zoten immerhin mehr Miete edelster Rumpf Abwasser und Flasche.«
     
    wurde zu:
     
    »Räum dein Zimmer auf.«
     
    Dann fing er mit Umstellungen an, bei denen die Buchstaben durcheinandergewürfelt und neu angeordnet wurden.
    »Nib

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