Vatermord und andere Familienvergnuegen
fauenkein. Chileg Kürcuz.«
ergab:
»Bin einkaufen. Gleich zurück.«
Dann klebte eines Abends, einige Wochen nach meinem sechzehnten Geburtstag, die folgende Nachricht am Badezimmerspiegel:
»Rezizsl chess frift mu chim eib.«
Ich brauchte eine Weile, um sie zu decodieren, weil er nicht nur die Wörter, sondern das ganze Satzgefüge umgebildet hatte. Aber es gelang mir, nachdem ich einige Minuten lang daraufgestarrt hatte:
»Triff mich um sechs bei Sizzler.«
Bei Sizzler aßen wir am liebsten, wenn wir etwas zu feiern hatten - soll heißen, wir waren einmal dort gewesen vor fünf Jahren, als Dad sechsundvierzig Dollars im Lotto gewonnen hatte. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch das Labyrinth zur Hauptstraße und nahm von dort aus den Bus in die Stadt zum Hotel Carlos. Das Sizzler, von dem ich spreche, befand sich im obersten Stockwerk, aber man musste nicht im Hotel absteigen, um dort essen zu können. Man konnte zwar, wenn man wollte, aber ehrlich gesagt, sobald man aufgegessen und seine Rechnung bezahlt hatte, interessierte sich das Personal nicht dafür, wo man schlief.
Als ich dort ankam, saß Dad schon an einem Fenstertisch, vermutlich, damit wir während der unvermeidlichen Gesprächspausen den Blick über die Stadtlandschaft schweifen lassen konnten.
»Na, was macht die Schule?«, fragte er, als ich mich setzte.
»Geht so.«
»Heute irgendwas gelernt?« »Das Übliche.« »Als da wäre?«
»Du weißt schon«, sagte ich und wurde nervös, als ich merkte, dass er mich nicht ansah. Vielleicht hatte er gehört, dass jemand sagte, man dürfe nicht direkt in die Sonne blicken, und hatte es falsch verstanden.
»Ich muss dir etwas zeigen«, sagte er, legte einen Briefumschlag auf den Tisch und trommelte mit seinen Fingern darauf.
Ich nahm den bereits aufgerissenen Briefumschlag und zog die Benachrichtigung heraus. Sie trug den Briefkopf unserer Highschool. Beim Lesen heuchelte ich Verständnislosigkeit, aber es wird wohl eher als Geständnis rübergekommen sein.
Sehr geehrter Mr. Dean,
ich muss Ihnen offiziell mitteilen, dass Ihr Sohn, Jasper Dean,
am Nachmittag des 20. April nach dem Unterricht im Zug in
einen tätlichen Angriff verwickelt war.
Wir haben eindeutige Beweise dafür, dass Ihr Sohn, noch
in seiner Schuluniform, einen Mann tätlich angegriffen hat,
ohne provoziert worden zu sein. Darüber hinaus teile ich
Ihnen mit, dass Ihr Sohn den Entschluss gefasst hat, von der
Schule abzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Silver
Rektor
»Warum schreiben sie hier, dass du deine Schuluniform anhattest? Warum ist das wichtig?«
»So sind sie einfach.«
Dad schnalzte mit der Zunge.
»Ich gehe da nicht wieder hin«, sagte ich.
»Warum nicht?«
»Ich habe mich schon von allen verabschiedet.« »Und du hast jemanden angegriffen? Stimmt das?« »Man muss dabei gewesen sein.« »Musstest du dich verteidigen?«
»Es ist ein bisschen komplizierter. Schau, alles, was ich wissen muss, kann ich mir selbst beibringen. Bücher lesen kann ich allein. Diese Idioten brauchen einen, der ihnen die Seiten umblättert. Ich nicht.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Da fällt mir schon was ein«, sagte ich. Wie konnte ich ihm beibringen, dass ich jetzt das wollte, was er einmal gewollt hatte - in Zügen herumfahren und sich in Mädchen mit dunklen Augen und extravaganten Lippen verlieben? Auch wenn dabei für mich am Ende nicht mehr rauskommen würde als Schwielen am Hintern, es war mir egal. Was konnte ich dafür, dass das Leben eines Wandersmanns, eines Fahrenden, in der Welt nicht länger hoch im Kurs stand? Schön, es war nicht mehr gesellschaftsfähig, sich vom Wind treiben zu lassen, um Brot und Obdach zu bitten, auf Heuballen zu schlafen, mit barfüßigen Bauernmädchen zu schäkern und dann vor der Erntezeit das Weite zu suchen. Aber das war das Leben, das ich führen wollte, mich hierhin und dorthin wehen lassen wie ein Blatt.
Leider konnte sich Dad nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass sein einziger Sohn ziellos durch Zeit und Raum trieb - so jedenfalls fasste er meinen Lebensplan zusammen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte: »Du musst die Schule abschließen.«
»Du hast die Schule nicht abgeschlossen.«
»Ich weiß. Du willst doch wohl nicht in meine Fußstapfen treten, oder?«
»Ich trete nicht in deine Fußstapfen. Du hast kein Patent auf Schulversagen.«
»Na, und was machst du dann?«
»Ich vertraue mich der Straße an. Was immer
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