Vatermord und andere Familienvergnuegen
Psychiatrie und den Bau dieses ungeheuerlichen Monstrums. Aber so unglaublich es klingt: Sie kam wieder zur Arbeit, als sei nichts davon je geschehen. Sie veranlasste Dad dazu, eine Gegensprechanlage einzurichten, damit wir sie oder andere erwünschte Besucher durch den Irrgarten zu unserer befestigten Heimstatt lotsen konnten. Ich werde diese Frau nie verstehen, dachte ich, aber wenn sie an einem Ort endloser Wanderungen kochen und putzen will - ihre Entscheidung. Dort lebten wir also.
Wir waren abgeschnitten von der Welt und hatten nur die natürlichen Geräusche des Buschs, um uns zu beruhigen, zu stimulieren und zu ängstigen. Die Luft hier war anders, und ich war selbst überrascht: Ich liebte die Stille (im Gegensatz zu Dad, der sich angewöhnte, zu jeder Zeit das Radio laufen zu lassen). Zum ersten Mal spürte ich, dass an dem Spruch, der Himmel beginne einen Zentimeter über dem Boden, etwas Wahres dran war. Am Morgen roch das Buschland nach den besten Deos, die man je gerochen hat, und ich gewöhnte mich schnell an die mysteriösen Bewegungen der Bäume, die so regelmäßig atmeten wie ein Chloroformierter. Von Zeit zu Zeit erschien der Nachthimmel uneben, stellenweise näher, dann glättete er sich wieder wie ein Tischtuch, das erst zusammengeschoben und dann wieder straff gezogen wird. Ich wachte auf und sah wie tief liegende Wolken waghalsig auf Baumkronen balancierten. Manchmal war der Wind so sanft, als käme er aus dem Nasenloch eines Babys, während er zu anderen Zeiten so heftig war, dass all die Bäume nicht weniger gründlich an der Erde befestigt zu sein schienen als mit doppelseitigem Klebeband.
Das Katastrophenversprechen erschien mir nicht mehr ganz so ehern, schon beinahe gebrochen, und ich wagte beinah wieder, optimistisch in unsere sich zaghaft regende Zukunft zu blicken.
Während eines langen Spaziergangs überkam mich die Idee wie ein Erdrutsch: Der erstaunlichste Unterschied zwischen Dad und mir bestand darin, dass ich Gradlinigkeit mochte, er hingegen Komplexität. Ich will nicht sagen, dass ich oft oder überhaupt je Gradlinigkeit erreichte, nur, dass ich sie mochte, genau wie er es genoss, alles zu verkomplizieren, so gut er nur konnte, bis größtmögliche Unklarheit herrschte.
Eines Abends stand er hinten im Garten und starrte in die Dunkelheit hinaus. Die Nacht war klar und der Mond leicht verschwommen, wie durch einen Fettfleck betrachtet.
Ich sagte: »Woran denkst du?«
Er sagte: »Es ist eine Überraschung.«
Ich sagte: »Ich mag keine Überraschungen. Nicht mehr.«
Er sagte: »Du bist zu jung, um...«
Ich sagte: »Es ist mein Ernst. Keine Überraschungen mehr.« Er sagte: »Ich suche mir keinen neuen Job.« Ich sagte: »Wovon werden wir leben?« Er sagte: »Wir werden prima leben.«
Ich sagte: »Was ist mit Essen und einem Dach über dem Kopf?«
Er sagte: »Ein Dach über dem Kopf haben wir. Eddie sagt, es eilt nicht mit dem Darlehen, und dank ihm gehört uns dieses Anwesen.«
Ich sagte: »Und was ist mit Anouk? Wie willst du sie bezahlen?«
Er sagte: »Ich gebe ihr das Zimmer hinten raus als Atelier. Sie hätte gern irgendwo einen Platz zum Töpfern.«
Ich sagte: »Und Essen? Was ist mit Essen?«
Er sagte: »Essen bauen wir an.«
Ich sagte: »Steaks? Wir bauen Steaks an?«
Dann sagte er: »Ich hab mir gedacht, wir könnten den Teich reinigen.«
Hinten im Garten war ein Teich in Form einer Acht, mit weißen Kieselsteinen eingefasst. »Und vielleicht setze ich ein paar Fische ein«, ergänzte er.
»Scheiße, Dad, ich weiß nicht.«
»Aber diesmal werde ich mich um sie kümmern, okay?« Ich hatte nichts dagegen.
Wie versprochen, reinigte er den Teich und setzte drei seltene japanische Fische ein. Es waren keine Goldfische. Sie waren so groß und farbenprächtig, mit Sicherheit die angesagteste Fischart vor den großen weißen Haien, und Dad fütterte sie einmal am Tag, breitete die Flocken im Halbkreis über dem Teich aus, als sei das eine einfache, würdevolle Zeremonie.
Ein oder zwei Monate später war ich mit Anouk in der Küche, und ich konnte Dad im Garten mit einem Kübel, in dem eine weiße Substanz befand, hantieren sehen, die er in Schöpflöffelmengen im Teich verteilte. Er pfiff zufrieden vor sich hin.
Anouk presste ihr Gesicht ans Fenster und drehte sich verdutzt zu mir um. »Das ist Chlorbleiche«, sagte sie.
»Also, das kann nicht gut für die Fische sein«, sagte ich.
»Martin!«, brüllte Anouk durch die Fensterscheibe. Dad drehte sich
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