Vatermord und andere Familienvergnuegen
der von längst verstorbenen Männern um ihn gezogen worden ist, die seinen Vorfahren einen Haufen Lügen vorgesetzt haben, damit sie in der Abgeschiedenheit ihrer Beichtstühle so viele kleine Jungen missbrauchen konnten, wie sie Lust hatten!«
Ich warf einen schnellen Blick hinüber zu Brett. Er saß stumm auf seinem Stuhl. Sein Gesicht war schmal und fein geschnitten, und wären die Haare, die Augen, die Nase und der Mund nicht gewesen, hätte sein Gesicht die Hand eines Pianisten sein können. Brett ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte, aber er wusste sicher nicht, dass ich mir Vergleiche für sein Gesicht ausdachte, denn er lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Hätte ich gewusst, dass Brett sich zwei Monate später das Leben nehmen würde, hätte ich geweint.
Am Morgen seines Todes unterhielten wir uns sogar noch. »He, Brett, hast du die fünf Dollars, die du mir schuldest?« »Kann ich sie dir morgen geben?« »Na sicher.«
Die Menschen sind erstaunlich geschickt darin, Fröhlichkeit vorzutäuschen. Es ist ihnen beinahe zur zweiten Natur geworden, so wie sie nach dem Telefonat in der Klappe des Münztelefons nach Kleingeld tasten. Brett war einsame Spitze darin, bis zum allerletzten Moment. O Mann, ich hab mit einem Mädchen gesprochen, das sich noch zehn Minuten, bevor er sprang, mit ihm unterhalten hat, und sie sagte, sie hätten übers Wetter geredet!
»He, Kristin, g-glaubst du, der Wind kommt von Süden?« Brett stotterte leicht, je nach sozialem Druck nahm er ab oder zu.
»Woher soll ich das denn wissen?«
»Er ist z-ziemlich h-eftig, oder?«
»Warum quatschst du mich an, Pickelgesicht?«
Ich will nicht mehr Aufhebens um Bretts Tod machen, als er tatsächlich für mich bedeutete. Er war nicht mein engster Freund oder gar Vertrauter. Wir waren Verbündete, und damit standen wir uns in gewisser Weise näher als Freunde. Das kam so:
In einer der großen Pausen hatte sich im Hof ein Kreis gebildet, was aussah wie ein hässliches Patchwork. In mir zog sich schon im Vorhinein alles zusammen. Auf einem Schulhof gibt es keine diskreten Demütigungen, alle waren gnadenlos öffentlich. Ich fragte mich, wer diesmal dran war. Als ich über den Bürstenschnitt des kleinsten Glieds in der Kette spähte, sah ich, dass Brett White am Boden lag und ihm das Blut aus dem Mund lief. Diversen begeisterten Zuschauern zufolge war Brett hingefallen, als er vor einem anderen Schüler davonrannte, Harrison. Und jetzt, als sie auf Brett hinabsahen, lachten alle Schüler, weil ihr Anführer lachte. Es waren keineswegs besonders grausame Kinder; es war nur so, dass sie ihre Egos dem seinen überlassen hatten, das war alles; sie ordneten ihren Willen dem Willen Harrisons unter, eine schlechte Wahl. Warum Gruppen sich nie dem freundlichen, lieben Kind anschließen, ist sonnenklar, aber es wäre schön, es würde wenigstens ein einziges Mal so kommen. Der Mensch hat, wie Freud beobachtete, eine extreme Vorliebe für Autoritäten. Ich glaube, diese heimliche Sehnsucht, dominiert zu werden, könnte so gut funktionieren, wenn der Mensch sich nur einmal so richtig darauf einlassen würde. Denn dank der Gruppendynamik könnte der Anführer schreien: »Geben wir dem Drecksack ein liebevolles Küsschen auf die Wange«, und sie würden mit gespitzten Lippen auf das bedauernswerte Opfer zurennen.
Hier war es so, dass Bretts Schneidezähne auf dem Beton lagen. Sie sahen aus wie Tic Tacs. Er hob die Zähne auf. Man konnte sehen, dass er mühevoll das Weinen unterdrückte.
Ich sah die anderen Schüler an und verzweifelte daran, dass nicht einer von ihnen genug Mitgefühl aufbrachte, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. Es war unangenehm, mit ansehen zu müssen, wie all diese Kleingeister Brett derart zusetzten. Ich beugte mich neben ihm hinunter und sagte: »Lach, als würdest du es lustig finden.«
Er folgte meinem Rat und fing an zu lachen. Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Können sie die wieder reinsetzen?«, und ich lachte ebenfalls laut, als habe er einen Witz gemacht. Als ich ihn wieder auf die Beine gestellt hatte, gingen die Demütigungen weiter. Ein Fußball flog auf sein Gesicht zu.
»Mach mal weit den Mund auf, damit ich zwischen die Torpfosten treffe!«, rief einer.
Es stimmte, seine Zähne sahen aus wie Torpfosten.
»Muss so was wirklich sein?«, rief ich; es hatte keinen Sinn.
Harrison löste sich aus dem Mob, baute sich vor mir auf und sagte: »Du bist Jude, oder?«
Ich stöhnte. Nur einem
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