Vatermord und andere Familienvergnuegen
hatte, für die er nichts als Verachtung empfand, lud Dad regelmäßig Stapel von Büchern, auf die er kleine Postit-Zettel (»Lies das!« oder »Dieser Mann ist ein verfluchter Gott!«) gepappt hatte, in meinem Zimmer ab: Plato, Nietzsche, Cioran, Lawrence, Wittgenstein, Schopenhauer, Novalis, Epiktet, Berkeley, Kant, Popper, Sartre, Rousseau und so weiter. Pessimisten, Nihilisten, Zyniker, das waren seine Favoriten, wie etwa unter anderem Celine, Bernhard und der größte Poet des Pessimismus, James Thomson, mit seiner finsteren Nachtstadt.
»Wo sind die Frauen?«, fragte ich Dad. »Hatten die nie Gedanken, die das Aufschreiben lohnten?«
Am nächsten Abend warteten Virginia Woolf, George Sand, Ayn Rand, Gertrude Stein, Dorothy Parker, Simone de Beauvoir, Simone Weil, Mary McCarthy, Margaret Mead, Hannah Arendt und Susan Sontag auf meinem Kopfkissen.
Und so wurde ich weniger unterrichtet als vollgestopft, und tatsächlich bedeuteten sie mir auch alle etwas. Die Griechen zum Beispiel hatten gute Ideen für eine Gesellschaftsordnung, die noch heute ihre Gültigkeit haben, vor allem, wenn man Sklaverei für eine wunderbare Sache hält. Was alle anderen betrifft - allesamt zweifellos Genies -, so muss ich zugeben, dass mir ihre Begeisterung für die eine Sorte Mensch (sie selbst) und ihre Abscheu vor der anderen Sorte (alle anderen) schwer auf die Nerven gingen. Und zwar nicht nur, weil sie sich dafür starkmachten, die Allgemeinbildung einzuschränken, damit die nicht »das Denken zerstört«, auch nicht, weil sie alles dafür taten, dass ihre Kunst möglichst unverständlich erschien, sondern weil sie oft äußerst Unfreundliches von sich gaben wie: »Ein dreifaches Hurra den Erfindern von Giftgas!« (D. H. Lawrence) und: »Wenn wir uns einen bestimmten Typ von Zivilisation und Kultur wünschen, müssen wir den Menschentyp, der nicht hineinpasst, ausrotten« (G. B. Shaw) und: »Früher oder später müssen wir den Familienzuwachs der unintelligenten Klassen beschneiden« (W. B. Yeats) und ganz zu schweigen davon, was Nietzsche so alles zu diesem Thema gesagt hat. Alle anderen, genauer gesagt alle, die ich kannte, waren nichts weiter als wandelnde, verwesende Kadaver, und zwar hauptsächlich deswegen, weil sie lieber Football guckten, als Vergil lasen. »Die Unterhaltungsindustrie ist der Tod der Zivilisation«, geiferten diese Intelligenzbestien, aber ich frage: Wenn ein Mann über etwas Kindisches kichert und von einem Ohr zum anderen vor Freude strahlt, spielt es dann eine Rolle, ob der Grund dafür ein tiefschürfendes Meisterwerk ist oder eine Wiederholung von Verliebt in eine Hexe?. In diesem Mann ist gerade etwas Wunderschönes vorgegangen, und was noch besser ist, er hat es auf billige Weise bekommen. Ist doch schön für ihn, du verknöchertes Arschloch! Im Grunde waren sie alle der Ansicht, es wäre einfach wunderbar, wenn die so entmenschten Massen, die sie buchstäblich krank machten, entweder im Dunkel der Geschichte verschwänden oder zu Sklaven würden, und zwar schleunigst. Sie wollten eine ihrem eigenen snobistischen und syphilitischen Vorbild entsprungene Rasse von Überwesen erschaffen, Menschen, die den ganzen Tag hoch oben auf dem Berg sitzen und den Gott in sich bauchpinseln bis zur Ekstase. Ich persönlich glaube, es war weniger »das plebejische Glücksverlangen« der Massen, das sie so verabscheuten, als die uneingestandene, bittere Erkenntnis, dass der Plebs sein Glück gelegentlich sogar fand.
Und so wie mein Vater mich abgeschoben hatte, schob ich alle seine gelehrten Freunde ab, all diese wundervollen, galligen Genies, und richtete mich in der Schule bequem darauf ein, nur das Allernötigste zu tun. Ich gab mir oft einen Tag frei und spazierte durch die pulsierende Stadt, um ihr beim Pulsieren zuzuschauen, oder ich ging auf die Rennbahn, um zu sehen, wie die Pferde ihr unglückliches Dasein unter den Ärschen kleiner Männer fristeten. Gelegentlich schickte die Schulverwaltung unfreiwillig komische Briefe an meinen Vater und erinnerte an meine Anwesenheitspflicht.
»Ist schon wieder ein Brief gekommen?«, fragte mein Vater dann und schwenkte ihn in der Luft herum wie einen Zehn-Pfund-Schein, den er in einer alten Hose gefunden hatte.
»Und?«
»Und was hast du dazu zu sagen?«
»Fünf Tage in der Woche sind zu viel. Das verkrafte ich nicht.«
»Du musst nicht der Beste im Lande sein, weißt du? Nur gerade so durchrutschen. Darauf solltest du es anlegen.«
»Genau das mache ich
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