Vatermord und andere Familienvergnuegen
ja. Ich rutsche.«
»Wunderbar. Sieh einfach zu, dass du oft genug hingehst, um so ein Papier mit deinem Namen drauf zu bekommen.«
»Und warum?«
»Das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Die Gesellschaft muss glauben, du spielst nach ihren Regeln. Später kannst du machen, was du willst, aber du musst ihnen vormachen, du wärst einer von ihnen.«
»Vielleicht bin ich einer von ihnen.«
»Ja, und ich gehe morgen früh um sieben ins Büro.«
Aber er ließ es damit nicht gut sein. Ich war bei der Lehrerschaft mittlerweile berüchtigt, dank der allgemein gefürchteten und demütigenden Besuche meines Vaters, dessen Gesicht plötzlich vor der Milchglasscheibe in der Klassenzimmertür erscheinen konnte.
Am Tag, nachdem ich meinem Vater meinen Hamlet-Aufsatz gezeigt hatte, kam er zu mir in den Englischunterricht, suchte sich einen Platz in der letzten Reihe und zwängte sich in einen der Holzstühle. Mr. White war gerade dabei gewesen, das Wort »Intertextualisierung« an die Tafel zu schreiben, als Dad hereinkam, und als er sich wieder umdrehte und einen Mann in mittleren Jahren zwischen uns jungen Idioten sitzen sah, war er verwirrt. Sein Blick auf meinen Vater war voller Missbilligung, als wollte er einen seiner Schüler dafür zurechtweisen, dass er mitten im Unterricht so plötzlich gealtert war.
»Geht ein bisschen pomadig hier zu, was?«, sagte Dad. »Wie bitte?«
»Ich sagte, das Denken fällt einem nicht grade leicht hier drin, oder?«
»Bitte? Eh... Sie sind... ?« »Ein besorgter Vater.«
»Sind Sie der Vater eines Schülers hier in der Klasse?«
»Das Wort >besorgt< ist womöglich noch untertrieben. Wenn ich daran denke, dass er unter Ihrer Fuchtel steht, könnte ich Blut weinen.«
»Welches Kind gehört zu Ihnen?«
»Ich schäme mich nicht, es zuzugeben. Mein Sohn ist das Geschöpf, das unter dem Namen >Jasper< herumläuft.«
Mr. White strafte mich mit einem strengen Blick, während ich gerade versuchte, mit meinem Stuhl zu verschmelzen. »Jasper? Ist das dein Vater?«
Ich nickte. Was blieb mir anderes übrig?
»Wenn Sie mit mir über Ihren Sohn sprechen wollen, könnten wir einen Termin ausmachen«, sagte er zu Dad.
»Ich muss nicht mit Ihnen über meinen Sohn reden. Ich kenne meinen Sohn. Kennen Sie ihn?«
»Natürlich. Jasper ist schon das ganze Schuljahr in meiner Klasse.«
»Und die anderen? Sie können also lesen und schreiben: bravo! Damit sind die Einkaufszettel eines ganzen Lebens schon mal gesichert. Aber kennen Sie sie? Kennen Sie sich selbst? Denn wenn Sie sich selbst nicht kennen, können Sie ihnen nicht helfen, sich selbst zu erkennen, und Sie verplempern hier höchstwahrscheinlich unsere Zeit damit, eine Armee von verängstigten Nachplapperern zu drillen, wie es alle abgehalfterten Lehrer in dieser staatlich geführten Flohkiste hier machen, die den Schülern erzählen, was sie zu denken haben und wie, um sie zu idealen Steuerzahlern zurechtzustutzen, anstatt sich die Mühe zu machen, herauszufinden, wer sie sind.«
Die anderen Schüler lachten aus purer Verwirrung heraus.
»Ruhe hier!«, brüllte Mr. White, als sei das Jüngste Gericht angebrochen und ihm komme die heikle Aufgabe zu, die Seelen zu sortieren. Wir verstummten. Es half nichts. Angeordnetes Schweigen kann ohrenbetäubend sein.
»Warum sollten sie Sie respektieren? Sie haben ja auch keinen Respekt vor ihnen«, fuhr Dad fort, und zu den Schülern sagte er: »Sich einer Autoritätsperson zu beugen bedeutet, sich selbst ins Gesicht zu spucken.«
»Ich werde Sie wohl bitten müssen, zu gehen.«
»Ich freue mich schon auf diesen Moment.«
»Bitte gehen Sie.«
»Mir fällt auf, dass Sie ein Kruzifix um den Hals hängen haben.«
»Was ist damit?«
»Muss ich es Ihnen vorbeten?«
»Simon.« Mr. White wandte sich an einen der perplexen Schüler. »Sei doch so nett und geh ins Büro des Direktors, sag Bescheid, dass wir in unserem Klassenzimmer einen störenden Zwischenfall haben und die Polizei gerufen werden sollte.«
»Wie können Sie Ihre Schüler lehren, selbstständig zu denken, wenn Ihnen ein überholtes Glaubenssystem den Kopf einquetscht wie eine eiserne Maske? Sehen Sie das nicht? Ihre geistigen Prozesse sind durch streng dogmatische Prinzipien in ihrer Bewegung eingeschränkt, da kann es sein, dass Sie denken, Sie stünden hier und würden ihnen etwas über Hamlet erzählen, aber was die Schüler wirklich hören, ist die Stimme eines Mannes, der sich fürchtet, aus dem engen Kreis herauszutreten,
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